OPs trainieren mit dem DynamicHIPS-System

Bei der Ausbildung von ärztlichem Fachpersonal in der Chirurgie folgt nach der Theorie beim Einsatz einer künstlichen Hüfte die praktische Ausbildung direkt an den Betroffenen. Das Trainingssystem "OrthoMiniGames" bietet nun eine OP-Trainingssimulation als Zwischenschritt. Mit dem Einsatz einer VR-Brille in Kombination mit Haptikgeräten kann der Eingriff vorab haptisch simuliert geübt werden.

Bereits vor zwei Jahren sprachen wir mit Dr. Mario Lorenz über das Projekt, als es noch in der Entwicklung war. Nachdem es seit diesem Jahr erfolgreich abgeschlossen ist, erklärt er im Interview mit MEDICA.de, was das Trainingssystem von anderen virtuellen Angeboten unterscheidet und was die Technik des Systems ausmacht.

Dr. Lorenz, wie funktioniert die OP-Trainingssimulation und welche Technik steckt dahinter?

Dr. Mario Lorenz: Bei der Trainingssimulation kommt eine Virtual-Reality-Brille (VR-Brille) zum Einsatz, mit der die Anwendenden den Eingriff immersiv in einem virtuellen OP-Saal üben können. Dazu gehört ein ausgeklügeltes Trainingssystem mit Multi-User-Funktionalitäten. Innerhalb der Simulation kann der Einsatz einer künstlichen Hüfte mit allen Schritten geübt werden. Das Besondere hier ist, dass wir weltweit bisher die einzigen sind, die alle Schritte in einer realistischen haptischen Simulation anbieten.

Wir nutzen dafür das Haptikgerät Virtuose von Haption SA. Die OP-Trainingssimulation zeigt die Firma auch auf der MEDICA 2023. Es kann der Einsatz anhand der ersten beiden Schritte einer OP zum Einsatz einer künstlichen Hüfte auf der Messe getestet werden.

Für die restlichen Schritte nutzen wir einen eigens an der TU Chemnitz entwickelten Einschlagapparat, der zum Patent angemeldet ist. Damit kann das Einhämmern der Implantate realistisch simuliert werden. Das haben wir bereits mit unseren Partnern an der Uniklinik Leipzig und der Medizinischen Universität Graz innerhalb von biomechanischen Versuchen erprobt. So konnten die einzelnen Schritte und die dabei auftretenden Kräfte und Drehmomente mithilfe von gespendeten Proben exakt gemessen und abgebildet werden.

Warum ist gerade für den orthopädisch-unfallchirurgischen Bereich das Trainingssystem hilfreich?

Lorenz: Allein in Deutschland setzen wir jährlich ungefähr 200.000 künstliche Hüften ein, sei es primär oder in Revision. Das macht es zu einer extrem häufigen Operation. Dazu kommt, dass die Ausbildung des ärztlichen Fachpersonals in diesem Bereich gegenwärtig am Betroffenen unter Supervision stattfindet. Das ist verbesserungswürdig, denn so kann die Operation nicht vollständig gefahrlos geübt werden. Die benötigten sensomotorischen Fähigkeiten für den Eingriff müssen erst erlernt werden. Dafür ist eine realistische haptische Simulation entscheidend.

Inwiefern konnten Erkenntnisse aus dem vorherigen Projekt und die dafür entwickelten Simulatoren bei dem neuen Trainingssystem helfen?

Lorenz: Mit dem Vorgängerprojekt haben wir 2016 quasi bei null angefangen. Damals war das Ziel, die verschiedenen Module so zusammenzubringen, dass wir eine realistische virtuelle Patientenanatomie haben und überhaupt ein Trainingssystem in VR umsetzen können. Dabei haben wir uns auf einen einzelnen OP-Schritt fokussiert. Die so gewonnen Erkenntnisse über haptische Eingabegeräte haben uns gezeigt, dass die vorhandene Technik nicht haptisch-transparent genug ist. Das Gewicht des Roboters war spürbar und verfälschte so das haptische Empfinden in der Simulation.

Für das neue Trainingssystem haben wir zweigleisig versucht, diese Problematik zu lösen. Einerseits mit dem Haptikgerät Virtuose und andererseits, indem wir versucht haben, die Regelungstechnik so anzupassen, sodass sie haptisch transparenter wird.

Das jetzt implementierte Trainingssystem erkennt auch Fehler und zeigt diese an. Es kann nun modular in drei verschiedenen Schwierigkeitsstufen trainiert werden. Mit dem Multi-User-System kann mit beliebig vielen Zuschauenden virtuell angeleitet werden. Es sind auch Aufzeichnungen für Trainingszwecke möglich. Im Prinzip haben wir die Erfahrung und Erkenntnisse aus dem ersten Projekt genommen und basierend darauf noch einmal ein komplett neues Trainingssystem entwickelt.

Wird das Trainingssystem bereits in Kliniken eingesetzt?

Lorenz: Im April wurde das Forschungsprojekt offiziell beendet. Gegen Ende haben wir das Trainingssystem in Chemnitz in den Zeisigwaldkliniken Bethanien evaluiert. Das erfolgte zusammen mit dem kompletten orthopädisch-unfallchirurgischem Personal bestehend aus 17 Probanden von Medizinstudierenden bis zum Chefarzt. Dabei war das Feedback positiv und durch das simulierte Training fühlten sich die Probandinnen und Probanden im Anschluss sicherer beim Herangang an den ersten realen Betroffenen.

Jetzt gilt es als Nächstes, die Trainingssimulation in die Ausbildungssituationen zu integrieren. Da das Projekt jedoch beendet ist, müssen wir uns zuerst um die weitere Finanzierung kümmern, um es wirklich in die Kliniken zu bringen.

Wie sehen Sie die Entwicklungen im VR-Bereich für die chirurgische Ausbildung? Was hat sich in den letzten Jahren getan und wo liegt noch Entwicklungspotenzial?

Lorenz: Es hat sich unglaublich viel sowohl mit VR als auch mit Augmented Reality entwickelt. Es kommt dabei allerdings stark auf die einzelnen Disziplinen an. Für das Training im Rahmen von Ausbildungen gibt es im Bereich der Operationen mit niedrigen Kräften – wie beispielsweise laparoskopische Eingriffe – bereits gute Trainingssimulatoren mit realistischem Feedback.

Auch in den Bereichen, wo größere Kräfte wirken, haben in den letzten fünf bis zehn Jahren durchaus viele Firmen Lösungen entwickelt. Diese beschränken sich jedoch auf rein visuelle Trainingssysteme. Dabei lernt man zwar nacheinander die Schritte, aber es fehlt die Möglichkeit, das handwerkliche Können zu trainieren. Das ist ein großes Thema für den chirurgischen Bereich. Wir brauchen Training mit realistischer Haptik bei der Simulation. Und da ist meines Erachtens noch viel Potenzial zur Entwicklung und Weiterentwicklung.