SMART Start: Digitalisierung in der Schwangerenvorsorge
SMART Start: Digitalisierung in der Schwangerenvorsorge
Interview mit Dr. med. Constanza Pontones, stellvertretende Oberärztin, und Dr. rer. nat. Hanna Hübner, Co-Leitung translationale Biobank, Frauenklinik, Universitätsklinikum Erlangen
16.01.2023
Während einer Schwangerschaft kommen unzählige Besuche bei der Ärztin oder dem Arzt zusammen. Natürlich macht eine engmaschige und regelmäßige Kontrolle Sinn, um eine bestmögliche Versorgung zu gewährleisten. Aber könnten einige Parameter nicht auch mittels smart Devices bequem von zuhause aus gemessen und überprüft werden? Genau mit dieser Frage beschäftigt sich das Projekt SMART Start der Friedrich-Alexander-Universität.
Dr. Hanna Hübner
Rede und Antwort zum Projekt und generellen Fragen zum Stand der Digitalisierung in der Schwangerenvorsorge gaben Dr. med. Constanza Pontones und Dr. Hanna Hübner in unserem Interview.
Frau Dr. Hübner, wie können smarte Helfer wie Wearables und Sensoren dazu beitragen, die Schwangerenvorsorge zu vereinfachen und die medizinische Versorgungsstruktur zu entlasten?
Dr. Hanna Hübner: Trotz aller zur Verfügung stehenden Möglichkeiten schreitet die Digitalisierung in der Schwangerenbetreuung im Vergleich zu anderen gesellschaftlichen Bereichen langsam voran. Obwohl ein Großteil der Screeningparameter einfach, bequem und kostengünstig zu Hause von der Schwangeren selbst erhoben werden könnten und in vielen ländlichen Gebieten ein Mangel an Fachärztinnen und -ärzten besteht, gibt es aktuell keine etablierte Struktur einer häuslichen Vorsorge in der Schwangerschaft.
Ziel dieses Projektes ist es, zu erforschen, wie zukünftig smarte Devices in der regulären Schwangerenvorsorge etabliert werden könnten. Hierbei werden Aspekte der Machbarkeit, der ethischen und der gesundheitsökonomischen Fragestellung einbezogen.
Produkte und Aussteller zum Thema
Passende Aussteller und Produkte finden Sie in der Datenbank der MEDICA 2022:
Nun ist eine Schwangerschaft ja doch eine Art Ausnahmezustand, Frau Dr. Pontones – Gab es Bedenken ob der smarten Helfer und digitaler Datenübermittlung oder Ängste bezüglich nicht ausreichender Versorgung?
Dr. Constanza Pontones: Studien zeigten, dass die Akzeptanz digitaler Technologien für die Heimnutzung während der Schwangerschaft als hoch eingeordnet werden kann. Es sind durchweg smartphoneaffine junge Frauen, die in diese Nutzendengruppe fallen. Deshalb werden in diesem Projekt direkte Anwendungsmöglichkeiten zur Implementierung der Smart Sensorik geschaffen, welche die optimierte Gesundheitsbetreuung durch Ärztinnen und Ärzte, aber auch die eigene Kontrolle und Optimierung der metabolischen Aktivität durch Schwangere ermöglicht. Kurz- bis mittelfristig besteht das Ziel, pragmatische und innovative technische Lösungsansätze zur Revolutionierung der Schwangerenvorsorge zu entwickeln und zu etablieren. Die langfristige Zielsetzung ist auf eine deutliche Entlastung der bestehenden geburtsmedizinischen Versorgungsstruktur ausgerichtet, indem die in diesem Projekt entwickelten Lösungsansätze für eine Implementierung notwendiger sensorischer und analytischer Messungen der Schwangerenvorsorge in den häuslichen Bereich und in bestehende Versorgungsprozesse integriert werden können.
Im Rahmen der initial an der Frauenklinik des Universitätsklinikums Erlangen durchgeführten Studien werden keine Untersuchungen der Regelversorgung ersetzt. Alle digitalen Aspekte werden zusätzlich zur bestehenden Versorgung angewandt und untersucht.
Mehr Informationen zu den Studien und der Teilnahme an diesen finden Sie auf der Webseite des Projekts unter: www.smartstart.fau.de
Weitere spannende Beiträge zum Thema aus der MEDICA.de-Redaktion:
Der digitale Mutterpass ist zumindest theoretisch seit 2022 Bestandteil der elektronischen Patientenakte. Haben Sie damit im Projekt Erfahrungen gemacht und wenn ja, welche?
Hübner: Der digitale Mutterpass der gematik ist noch nicht wirklich in der Routineversorgung angekommen. Die Nutzung der ePA und des digitalen Mutterpasses ist bei den potenziellen Nutzerinnen noch wenig verbreitet, sodass zu diesem Thema noch keine Schlüsse gezogen werden können. Hier bedarf es in Zukunft mehr Aufklärung und Informationsbereitstellung, um Schwangere langfristig besser an diese digitale Option heranzuführen.
Der Großteil der Screeningparamter, die im Verlauf einer Schwangerschaft überwacht werden, könnten auch bequem von zuhause aus gemessen werden.
Welche wichtigen Erkenntnisse konnten denn bislang gewonnen werden?
Pontones: Erste Untersuchungen im Rahmen des Projektes zeigen, dass die Akzeptanz und Bereitschaft, digitale Devices im Rahmen der Schwangerenvorsorge zu nutzen, hoch ist. Insbesondere Frauen, die Ängste bezüglich der bestehenden Schwangerschaft angeben, zeigen ein hohes Interesse, digitale Devices zu nutzen und so die Schwangerschaft für sich selbst intensiver zu überwachen.
Ergebnisse aus dem ersten Teil der Studien des Projektes liegen bereits vor. Zwei weitere Teilstudien rekrutieren aktuell noch. Erste Ergebnisse hierzu werden im Laufe des Jahres 2023 erwartet.
Welche Rolle können maschinelles Lernen und Künstliche Intelligenz (KI) für die weitere Verbesserung der Versorgung spielen?
Hübner: KI findet immer mehr Bedeutung in der klinischen Entscheidungsfindung und kann in verschiedenen medizinischen Bereichen Personal unterstützen. Für die Schwangerschaft gibt es einige KI-gestützte Herangehensweisen. Mit den während der Selbstuntersuchungen der Schwangeren aufgezeichneten Daten zu unter anderem Aktivität, Energieumsatz, kardiovaskulärem Verlauf und Schlaf ist eine gute und ausreichende Grundlage geschaffen worden. Mit Hilfe der erfassten Daten aus der Routinevorsorge sowie innovativen Parametern kann ein überwachtes, trainiertes maschinelles Lernen oder KI-System entwickelt werden. Dadurch könnten zum Beispiel Verlaufsabnormitäten bei wiederholten Messungen erkannt, Handlungsempfehlungen gegeben, Risikovorhersagen getroffen oder auch untererforschte/unentdeckte wissenschaftliche Zusammenhänge aufgedeckt werden.
Das Interview wurde geführt von Anne Hofmann. MEDICA.de