Wie genau würde ein solches smartes Expertensystem für die pädiatrische Intensivmedizin funktionieren?
Wulff: Wir streben an, ein System zu entwickeln, welches das Klinikpersonal bei der täglichen Arbeit unterstützt. Konkret würde im Patientendatenmanagementsystem ein weiteres Modul – zunächst als Demonstrator – eingepflegt werden: das smarte Entscheidungsunterstützungssystem. Basierend auf maschinellen Lernalgorithmen wäre das System dann in der Lage, bestimmte Erkrankungen zu erkennen und dem ärztlichen Personal einen entsprechenden Hinweis zu geben. Dabei ist es jedoch wichtig, dass es sich nicht um ein selbstständig agierendes System handelt. Es wird nicht automatisch eine Therapie beginnen oder sofort Medikamente verabreichen, sondern in erster Linie eine mögliche Diagnose stellen.
Jack: Unser Projekt konzentriert sich auf die Erkennung des systemischen inflammatorischen Response-Syndroms (SIRS) und dem Auftreten von (Multi-)Organdysfunktionen und –versagen im Intensivverlauf. SIRS zeigt die gleichen Symptome wie eine Sepsis und tritt auf der Intensivstation recht häufig in Assoziation mit verschiedenen Erkrankungen oder Eingriffen auf. Häufig wird ein SIRS nicht sofort erkannt und hier bringt das System mit einer systematischen und automatisierten Erfassung Vorteile bei der Diagnose. Dabei fragt das System immer nach, ob die automatisiert gestellte Diagnose korrekt war und lernt auf Basis der Rückmeldungen selbstständig dazu. Diese selbstlernende Funktion ist allerdings ein Endziel und wird nicht sofort realisiert werden können. Das System soll erst einmal durch die frühzeitige Diagnosestellung bei der Behandlung unterstützen, da viele der Entscheidungen auf der Intensivstation sehr zeitkritisch sind. Wenn zum Beispiel in der Folge einer Operation die Patienten auf der Station rasch eine Funktionsstörung der Niere oder Leber entwickeln, könnte sich durch die sehr frühe Anpassung der Medikamente an die veränderte Situation das Behandlungsergebnis für die Patienten verbessern.
Was für Technologien werden im Projekt erforscht bzw. kommen zum Einsatz?
Wulff: Im Prinzip haben wir zwei Hauptbestandteile: die regelbasierten Verfahren und die maschinellen Lernverfahren. Beide Methoden sollen im System eine Rolle spielen, sodass es vermutlich ein hybrides System werden wird. Außerdem ist es wichtig, dass bei der Entwicklung der Fokus auch auf die Berücksichtigung offener und standardisierter Schnittstellen gelegt wird. Dabei geht es darum, einen Standard zur Repräsentation der erfassten Daten zu nutzen, was sich Interoperabilitätsstandard nennt. Das ist uns sehr wichtig, denn wenn diese Standards nicht bedient werden, entstehen Insellösungen, die nur im eigenen Krankenhaus funktionieren.
Wie sehen die nächsten Schritte aus?
Jack: Momentan stecken wir mitten im ersten Projekthalbjahr und sind dabei in enger Abstimmung weitere Aspekte von SIRS und den Organfunktionsstörungen in maschinelle Regeln umzusetzen. Dazu gehört zum Beispiel die Nierendysfunktion oder aber auch die hämatologische Dysfunktion. Wir versuchen das System immer weiter zur Erkennung der Erkrankungen zu ermächtigen. Mit jeder neuen Regel, die so entsteht, führen wir eine neue Studie durch, um zu beweisen, dass diese auch mit ausreichender Genauigkeit die Zielkriterien erfasst.