Laufen: mit Sensoren und KI gegen Verletzungen

Die häufigste Verletzungsursache bei Läufern ist nicht etwa ein Sturz, sondern Überlastung. Sie zeigt sich schon früh durch eine Veränderung im Bewegungsablauf. Erfolgreiche Verletzungsprävention könnte dabei ansetzen, solche Veränderungen frühzeitig zu erkennen und darauf zu reagieren. Genau daran forscht das Projekt "Smart Injury Prevention".

Im Interview mit MEDICA.de spricht Dr. Lina Rahlf über "Smart Injury Prevention" und erklärt, wie Sensoren und KI dabei helfen können, Verletzungen bei Läufern zu verhindern.

Frau Dr. Rahlf, was ist das Ziel im Projekt "Smart Injury Prevention"?

Dr. Lina Rahlf: Das Ziel des Projekts ist die Entwicklung einer intelligenten Software zur personalisierten Vorhersage von Laufverletzungen durch neuartige Machine Learning-Verfahren.

Laufen ist eine der beliebtesten Sportarten in Deutschland, bringt jedoch auch ein relativ hohes Verletzungsrisiko mit sich. Die Gründe für diese Verletzungen sind vielfältig. Immer häufiger werden allerdings biomechanische Laufparameter diskutiert. Mittels am Körper angebrachter Inertialsensoren wollen wir bestimmte biomechanische Laufparameter erheben und mithilfe von Machine Learning-Algorithmen analysieren. Die Erhebung von biomechanischen Laufparametern durch Inertialsensorik ist ein gängiges Verfahren und hat sich bereits in vorherigen Forschungsarbeiten bewährt. Durch den zusätzlichen Einsatz künstlicher Intelligenz zur Analyse der Daten versprechen wir uns eine innovative und erfolgreiche Software.

Den Ablauf kann man sich in etwa so vorstellen: Der Inertialsensor, angebracht mithilfe eines Gurtes um die Hüfte des Läufers während des Trainings, misst fortlaufend biomechanische Laufparamater wie beispielsweise die Schrittfrequenz oder Bodenkontaktzeiten und erkennt das individuelle Laufmuster des Athleten. Mithilfe der intelligenten Software sind wir in der Lage, Abweichungen dieses Laufmusters zu identifizieren. Darüber hinaus ist es das Ziel, basierend auf einer großen Datenmenge individueller Laufmuster und der zusätzlichen Erhebung von Verletzungen, eine Risikoanalyse zur Prävention von Verletzungen zu erstellen.

Was kann solche Abweichungen verursachen?

Rahlf: Abweichungen im Laufmuster können unterschiedliche Ursachen haben. Beispielsweise können es Ermüdungserscheinungen des Läufers sein, die wiederum das Risiko einer Verletzung potenzieren. Wie wir wissen, sind Überlastungsverletzungen im Laufsport häufiger als traumatische Verletzungen. Auch eine nicht komplett ausgeheilte Vorverletzungen kann beispielsweise zu Abweichungen des Laufmusters führen.

Was für Sensoren verwenden Sie?

Rahlf: Wir arbeiten mit Inertialsensoren, wie sie für sportwissenschaftliche Fragestellungen häufig verwendet werden. Die Sensoren sind unter anderem in der Lage, die Beschleunigung und Winkelgeschwindigkeit von Bewegungen zu messen. Anhand dieser Daten sollen die biomechanischen Parameter wie zum Beispiel Schrittfrequenz, Schrittlänge oder Bodenkontaktzeiten erkannt und abgeleitet werden.

Was für Partner sind an dem Projekt beteiligt?

Rahlf: Die Firma Humotion GmbH ist für die Entwicklung der Sensoren und der Software zuständig. Das Unternehmen PI Probaligence GmbH ist ebenfalls als Spezialist an der Entwicklung und Programmierung der Software beteiligt und zudem zuständig für die Machine Learning-Prozesse im Projekt. Im Arbeitsbereich Sport- und Bewegungsmedizin der Universität Hamburg sind wir im Wesentlichen für die Evaluation des Mess-Systems zuständig.

Das Projekt läuft seit Oktober 2020. Wie ist der jetzige Stand?

Rahlf: Wir sind jetzt im ersten Jahr und damit noch relativ am Anfang. Die gesamte Projektlaufzeit beträgt drei Jahre. Derzeit stehen wir vor der Umsetzung unserer groß angelegten empirischen Studie, in der wir jeden teilnehmenden Läufer mit einem Sensor ausstatten und über einen längeren Zeitraum die Daten der Trainingseinheiten sowie entstandenen Verletzungen erheben. In diesen ersten Daten sollen anhand der Machine Learning Prozesse eventuelle Veränderungen im Laufstil erkannt werden und Zusammenhänge mit entstandenen Verletzungen analysiert werden.

Das Projekt bietet durch die innovative und neuartige Analyse von Laufparametern und Verletzungen einen wichtigen Ansatz in der Weiterentwicklung protektiver Maßnahmen von Sportverletzungen und hat nach erfolgreichem Abschluss großes Potenzial, sich über den Laufsport hinaus zu etablieren.