Das mit Sensoren ausgestattete Bett übermittelt Vitaldaten eines Patienten oder einer Patientin und meldet sich, wenn die Gefahr droht, wundzuliegen. Digitalisierte Technik, wie sie im Rahmen des interdisziplinären Forschungsverbunds der Fachhochschule (FH) Bielefeld "CareTech OWL“ entwickelt wird, kann sehr praktische Hilfen im Gesundheitswesen bieten. Zu erleben sind die Innovationen seit einigen Wochen im neuen GesundZentrum am Bielefelder Südring.
Pflegebedürftige Menschen und ihre Angehörigen brauchen jede Unterstützung, die sie bekommen können. Wie auch das Personal in Kliniken in Zeiten des Fachkräftemangels. Aber welche Dienstleistungen und Hilfsmittel gibt es überhaupt? Und welche innovativen assistiven Technologien können das Leben aller Beteiligten erleichtern? Mit diesen Fragen beschäftigt sich CareTech OWL als Kooperationspartner im neuen GesundZentrum. CareTech OWL bündelt als Forschungsverbund die an der FH Bielefeld vorhandenen interdisziplinären Forschungs- und Entwicklungsexpertisen von Gesundheits-, Sozial-, Wirtschafts-und Ingenieurwissenschaften.
"Im Bereich der Assistenztechnologie wird seit 20 Jahren intensiv geforscht, aber noch immer kommt viel zu wenig intelligente Technologie in der Praxis an“, berichtet Prof. Dr. Udo Seelmeyer vom Fachbereich Sozialwesen an der FH, einer von vier CareTech OWL-Sprecherinnen und Sprechern. Das soll sich durch die Mitwirkung des FH-Forschungsteams im GesundZentrum ändern. Das Ziel ist es, Forschung anschlussfähig für die Umsetzung in der Praxis zu machen. Und im besten Fall mit Partnern aus der Wirtschaft einem Prototyp zur Marktreife zu verhelfen. "Wir wollen mit unserer Forschung in die Praxis hinein gehen“, betont Prof. Seelmeyer.
Wie assistive Technologien im häuslichen Kontext funktionieren, zeigt die "ErlebenWelt“ im GesundZentrum. In einer komplett ausgestatteten Musterwohnung können sich Pflegebedürftige, ihre Angehörigen und Fachkräfte aus der Gesundheitsbranche nicht nur zu Hilfsmitteln, Dienstleitungen, Fördermöglichkeiten beraten lassen, sondern alles gleich auch selbst testen. Die meisten Menschen möchten ihren Alltag möglichst selbstständig gestalten können. Menschen mit Behinderung und Ältere brauchen dabei je nach gesundheitlicher Situation aber Hilfestellungen. Auch für Angehörige bleibt oft eine große Unsicherheit, ob es der zu pflegenden Person allein daheim gutgeht. Erste technische Lösungen für mehr Sicherheit in den eigenen vier Wänden haben Prof. Dr. Thorsten Jungeblut und sein Doktorand Justin Baudisch vom Institut für Systemdynamik und Mechatronik (ISyM) der FH Bielefeld entwickelt: Durch den Einsatz von Bewegungsmeldern und Sensoren haben sie ein intelligentes System entwickelt, das die Bewegungsabläufe einer Person erfasst, auswertet und somit "lernt“, wie die Alltagsroutine aussieht. "Wann werden beispielsweise welche Lichtschalter betätigt, die Kaffeemaschine eingeschaltet oder ein Wasserhahn im Bad aufgedreht“, erklärt Prof. Dr. Jungeblut. "Kommt es zu Abweichungen, kann es sein, dass jemand gestürzt ist oder morgens das Bett nicht verlassen hat. Dann setzt das System einen Notruf an die Angehörigen oder den Pflegedienst ab.“ Um Sicherheit vor unbefugter Datennutzung zu gewährleisten, werden die meisten Daten vor Ort verarbeitet und kommen gar nicht erst in die Cloud. Durch Auswertung und Kombination der Daten kann ein Aktivitätsindex erstellt werden, ohne zu stark in die Privatsphäre der Person einzugreifen. Das ist Beruhigung und Entlastung für Angehörige, die mittels der Technik sehen können, dass zu Hause alles seinen gewohnten Gang geht.
Wer jetzt meint, dass digitalisierte Zuhause sähe wie eine Hightech-Zentrale aus, liegt falsch. Es war den Forschungsteams wichtig, dass das smarte Home wohnlich bleibt und einfach nachzurüsten ist. Die kostengünstige Elektronik, die in Form von Bewegungsmeldern, Lichtschaltern, Tür- oder Fenstersensoren zum Einsatz kommt, ist dezent oder sogar meist unsichtbar verbaut. Wie auch der Wasserzähler in der Decke des Ausstellungsbades, der den Durchlauf misst: Rauscht das Wasser über längere Zeit durch, deutet das darauf hin, dass der Bewohner bestenfalls schlicht vergessen hat, den Hahn zuzudrehen. Oder aber, dass er oder sie in der Dusche das Bewusstsein verloren hat.
Zur Installation des sensorikbestückten Wasserzählers ist Doktorand Justin Baudisch, der Informatik studiert hat, selbst auf die Leiter gestiegen. "Mir gefällt die praktische Seite an den Forschungsarbeiten zu meiner Dissertation“, erzählt er. "Das ist eine schöne Abwechslung zu der Zeit, die ich am Rechner verbringe. Mich fasziniert an dem System, dass es auch Hinweise auf mögliche Erkrankungen gibt. Bei einer beginnenden Alzheimer-Erkrankung beispielsweise, denn dabei verlangsamen sich die Bewegungsabläufe. Das können wir mit unserer Technik abbilden.“ Anhand der Aktivitätsmuster sind Therapieerfolge ebenfalls ablesbar, wie etwa nach der Entlassung aus dem Krankenhaus oder nach einer Reha.
Das System kann noch vieles mehr: Durch die Messung der Luftfeuchtigkeit werden auf Wunsch Empfehlungen zum Lüften gegeben. Zudem können die Bewegungsmelder schon rechtzeitig dafür sorgen, dass Türen geöffnet werden – für Menschen im Rollstuhl eine deutliche Erleichterung. Oder, ebenfalls eine große Hilfe: Wenn jemand nachts ins Bad muss, wird automatisch das Licht auf dem Weg dorthin angeschaltet. Das System kann auch erkennen, ob die Wohnung für längere Zeit verlassen wurde, was auch manchmal Aufschluss darüber gibt, dass etwas nicht stimmt.
Die FH Bielefeld macht im GesundZentrum die Technik für eine solche intelligente Wohnung unmittelbar erlebbar und informiert über die konkreten Einsatzmöglichkeiten neuester wissenschaftlicher Ergebnisse. Die ersten Projektergebnisse basieren auf einem it’s OWL Transferpiloten mit dem Titel "Maschinelle Intelligenz für die Prädiktion von Interaktion anhand von Bewegungsdaten“. Projektvolumen: 232.000 Euro. Die Fördersumme beträgt 100.000 Euro. Weitere 121.000 Euro trägt der Transferpartner Steinel Gruppe, ein technischer Ausstatter für Immobilien aus Herzebrock-Clarholz.
Es sind oft kleine Handreichungen, die im Pflegekontext in der Summe sehr viel Zeit kosten und Personal binden: Ein am Nachttisch installierter Roboterarm aus dem FH-Labor kann da Abhilfe schaffen und Pflegende in Kliniken, Pflegeeinrichtungen oder zu Hause deutlich entlasten. Mittels Sprachsteuerung reicht er Bettlägrigen Fernbedienung, Rätselheft oder Telefon. Die helfende Hand wurde am ISyM der FH entwickelt unter der Leitung von Prof. Dr. Axel Schneider, Prodekan für Forschung, Entwicklung und Transfer am Fachbereich Ingenieurwissenschaften und Mathematik. "Der Arm stoppt automatisch bei Berührung. Mikrofon und Lautsprecher sind so ausgerichtet, dass der Bettlägrige das System mittels Sprache bedienen kann“, erläutert Tobias Ehlentrup, Technischer Geschäftsführer des ISyM.
Waren früher Steuerungselemente für Robotik groß und sperrig, so passt heute alles in einen kleinen Kasten, der sich bequem im Nachtschrank verstauen lässt. Weitere Unterstützung bietet eine sich in der Entwicklung befindliche humanmechatronische Orthese mit gezielter Kraftunterstützung für den Care-Sektor. Der Prototyp stammt aus dem Labor für Biomechatronik der FH Bielefeld. Rund um das Bett ist allerdings noch viel Raum für technische Lösungen, die das Pflegen deutlich erleichtern: So kann ein mit Sensoren ausgestattetes Pflegebett Vitaldaten aufzeichnen, im Sinne der Dekubitusprophylaxe drohende Druckstellen erkennen und die Pflegenden über eine anstehende Umbettung der Patienten informieren.
MEDICA.de; Quelle: Fachhochschule Bielefeld