mHealth: Vorhofflimmern erkennen – die App für ein gesundes Herz
mHealth: Vorhofflimmern erkennen – die App für ein gesundes Herz
Interview mit Prof. Marcus Dörr, leitender Oberarzt der Klinik und Poliklinik für Innere Medizin B an der Universitätsmedizin Greifswald.
08.05.2019
Vorhofflimmern ist die häufigste anhaltende Herzrhythmusstörung. 1,8 Millionen Menschen leiden in Deutschland an dieser Krankheit. Sie ist schwer zu diagnostizieren. Häufig bleibt sie sogar unbemerkt und kann zum Schlaganfall führen. Eine Smartwatch mit einer neuen medizinischen App soll Patienten nun helfen, Vorhofflimmern rechtzeitig zu erkennen.
Prof. Marcus Dörr von der Universitätsmedizin Greifswald.
Im Interview mit MEDICA.de spricht Prof. Marcus Dörr über die Funktionsweise der Smartwatch mit der App, darüber, welche Lücke die App in der Medizin schließen könnte und warum sie vertrauenswürdig und zuverlässig ist.
Prof. Dörr, wie funktioniert die Smartwatch mit der neuen App?
Prof. Marcus Dörr: Die Smartwatch, die wir in dieser Studie verwendet haben, zeichnet das Signal des Pulses mit einem sogenannten photoplethysmographischen Sensor auf. Viele Smartwatch-Modelle haben heutzutage diesen Sensor. Er basiert auf Lichtblendung und -reflektion. Sicher haben Sie schon einmal das leuchtende grüne Licht gesehen, welches sich auf der Rückseite einer Uhr befindet. Dieser Sensor tastet den Puls ab und nimmt Informationen des Pulsschlags auf - man nennt es Photoplethysmographie.
Welche Vorteile bietet die App Patienten mit Herzrhythmusstörungen?
Dörr: Im Vergleich zu anderen Methoden bietet die App den Vorteil, dass sie zeitlich nahezu unbegrenzt verfügbar ist. Eine Smartwatch kann sowohl tagsüber als auch nachts getragen werden. Der Patient kann zum Beispiel im Schlaf regelmäßig den Pulsrhythmus kontrollieren und auswerten lassen. Ein weiterer Vorteil besteht darin, dass die App nicht auf ein Betriebssystem limitiert ist. Sie ist auch für Smartphones geeignet - hier funktioniert sie sowohl für Android als auch für das IOS-Betriebssystem. Die App ist kostengünstig und kann problemlos bei Risikopatienten eingesetzt werden.
Die neue App empfängt sehr feine Signale und ist somit eine vielversprechende Methode, die zukünftig langfristig den Pulsschlag bei Patienten aufzeichnen könnte.
Wenn die App nicht nur für Smartwatches, sondern auch für Smartphones geeignet ist - wie wird der Pulsschlag mit dem Smartphone gemessen?
Dörr: Beim Smartphone wird der Pulsschlag über die im Gerät eingebaute Kamera aufgezeichnet. Dazu wird die Fingerbeere auf die Kamera des Smartphones gelegt. Wie wir wissen, kann man mit der bloßen Hand am Handgelenk fühlen, ob der Puls regelmäßig oder unregelmäßig ist. Das Smartphone empfängt jedoch Signale, die viel feiner sind. Es wird eine Pulskurve aufgezeichnet. Das ist möglich, weil der Herzschlag für eine Pulswelle sorgt, die sich im Körper ausbreitet. Im Prinzip kann man sich vorstellen, dass man mit Smartphones eine Art Film aufnimmt, der die puls- oder herzschlagsynchrone Durchblutung an der Fingerbeere aufzeichnet. Der Pulsschlag tritt synchron mit dem Herzschlag auf. Dieser Film wird ausgewertet und Pulskurven werden rekonstruiert. Diese werden dann mit Hilfe mathematischer Algorithmen analysiert. Zum Beispiel wird geprüft, ob der Pulsschlag regelmäßig ist und ob weitere Auffälligkeiten in der Pulskurvenkontur vorhanden sind, die auf eine Rhythmusstörung, wie zum Beispiel Vorhofflimmern, hinweisen.
Es wurde bereits eine Studie zur App durchgeführt, die Aussagen darüber liefern sollte, ob die Smartwatch Vorhofflimmern akkurat erkennt. Zu welchem Ergebnis kam die Studie?
Dörr: Die Studie kam zu dem Ergebnis, dass die diagnostische Genauigkeit der App im Vergleich zum sogenannten Einkanal-EKG sehr gut war. Patienten mit und ohne Vorhofflimmern konnten präzise identifiziert werden. Die App ist somit eine vielversprechende Methode und könnte zukünftig langfristig zum Screening bei Patienten eingesetzt werden, die ein hohes Risiko für eine Rhythmusstörung aufweisen.
Die neue mobile App kann als kostengünstige Alternative zu einem Ereignisrekorder eingesetzt werden, wobei der Pulsschlag auch nachts aufgezeichnet werden kann.
Ein erhöhtes Risiko für Vorhofflimmern kann auch durch ein Langzeit-EKG festgestellt werden. Ist das Ergebnis negativ, wird zur längerfristigen Kontrolle ein Ereignisrekorder operativ hinter das Brustbein des Patienten implantiert. Warum sollten Patienten als Alternative zu diesem Implantat die Smartwatch mit der App nutzen?
Dörr: Die gängige Praxis besteht darin, dass bei Patienten mit Verdacht auf Vorhofflimmern zunächst ein Langzeit-EKG über eine Dauer von bis zu 72 Stunden durchgeführt wird. Es besteht prinzipiell auch die Möglichkeit, einen Ereignisrekorder zu implantieren, der über einen längeren Zeitraum hinweg aktiv ist. Das Implantat kann auch bei anderen Indikationen eingesetzt werden – zum Beispiel, wenn der Patient an unklarer Bewusstlosigkeit leidet. Wenn jedoch Vorhofflimmern erkannt wird, wird frühzeitig und schnell eine entsprechende Therapie, in der Regel eine Blutverdünnung, eingeleitet. Diese schützt den Patienten idealerweise vor einem Schlaganfall. Wenn kein Vorhofflimmern nachweisbar ist, ist die Diagnostik meist sogar abgeschlossen.
Ein Problem besteht darin, dass das Implantieren des Ereignisrekorders sehr teuer ist und von den Krankenkassen in der Regel nicht bezahlt wird - zumindest ist es in Deutschland der Fall. Diese Lücke kann gefüllt werden, indem das ambulante mobile Screening über die üblichen 72 Stunden hinaus mit relativ einfachen und preiswerten Mitteln, wie mit einer solchen App, durchgeführt wird. So kann Vorhofflimmern idealerweise ohne invasive Maßnahmen detektiert werden. Insofern kann man sagen, dass die App zu einem gewissen Grad eine Alternative zum Implantat darstellt.
Die neue App ist von einem Start-up Unternehmen aus Jena entwickelt worden, die ausschließlich validierte Apps auf den Markt bringt.
Wie lange wird es voraussichtlich dauern, bis die Smartwatch mit der neuen App im klinischen Alltag genutzt werden kann?
Dörr: Die Smartphone-Version der App ist bereits auf dem Markt. Bei der Smartwatch sind jedoch noch weitere klinische Studien nötig, einige laufen bereits. Es muss nachgewiesen werden, dass die Smartwatch mit der App mehr Patienten mit Vorhofflimmern detektiert als herkömmliche Verfahren. Wir hoffen, dass Anfang des Jahres 2020 weitere Ergebnisse vorliegen werden.
Der Medizinmarkt bietet Patienten ein breites Angebot an Apps. Warum sollten Patienten gerade diese App nutzen?
Dörr: Die App ist von einem Start-up Unternehmen aus Jena entwickelt worden. Ziel dieses Unternehmens ist es, ausschließlich wissenschaftlich validierte Apps auf den Markt zu bringen. Generell ist jedoch eine große Menge medizinischer Apps auf dem Markt verfügbar. Das Problem ist aber, dass Patienten meistens keine Auskunft darüber erhalten, ob diese auf einer wissenschaftlichen Grundlage basieren und validiert sind. Bei der von uns getesteten App ist es hingegen so, dass im Vorfeld klinische Studien durchgeführt worden sind, was eine Besonderheit ist. Demnach hat die App den Vorteil, dass sie nur dann auf den Markt kommt, wenn die wissenschaftlichen Daten belegen, dass es sinnvoll ist.
Das Interview wurde geführt von Diana Heiduk. MEDICA.de