Inwiefern sind Wirkstofftestungen an Fischlarven auf den menschlichen Organismus skalierbar?
Baumann: Studien haben gezeigt, dass der Zebrafisch rund 70 % orthologe Gene mit dem Menschen besitzt. Bei Genen, die mit Krankheiten in Verbindung gebracht werden, soll die Übereinstimmung sogar bei rund 84 % liegen. Somit ist der Zebrafisch genetisch gar nicht so weit vom Menschen entfernt, wie man zunächst denken würde.
Was ist derzeit das Problem der Medikamententestung/-zulassung allgemein und bei den Tests an den Zebrafischlarven im Speziellen?
Baumann: Das ZLM hat natürlich auch seine Grenzen. Die nur wenige Millimeter lange und einige hundert Mikrometer im Durchmesser messende Larve ist sehr klein. Alle Beobachtungen und Eingriffe müssen unter dem Mikroskop stattfinden. Hierfür bedarf es sehr viel Fingerspitzengefühl. Durch ihre geringe Größe benötigen Zebrafischlarven aber auch sehr wenig Platz. Tests können zum Beispiel wie herkömmliche In-vitro-Tests platzsparend in Mikrotiterplatten durchgeführt werden.
Aufgrund der äußeren Befruchtung der Eizelle ist die Gewinnung der Zebrafischembryos relativ einfach. Durch das durchsichtige Chorion kann der sich entwickelnde Embryo direkt beobachtet werden. Je nach Fragestellung muss dieser aber aus dem Chorion entfernt werden. Dies kann durch mechanische Zerstörung, zum Beispiel mit einer Nadel, oder durch Verdauung mit einer Protease geschehen. Beide Methoden stellen bei unsachgemäßer Durchführung ein Verletzungsrisiko für den Embryo dar.
Die Exposition findet in der Regel durch Immersion des befruchteten Eis, des Embryos oder Larve in der Testlösung statt. Die Aufnahme erfolgt primär durch Resorption über die Körperoberfläche. Die orale Aufnahme findet nur in begrenztem Umfang statt, kann in der älteren Larve aber mittels Sonde erzielt werden. Aufgrund der Komplexität bietet sich dieses Vorgehen aber nicht für die routinemäßige Testung an. Da die Larven noch keine Kiemen ausgebildet haben, ist auch der respiratorische Expositionspfad ausgeschlossen. Der zu testende Wirkstoff kann auch direkt durch Mikroinjektion zum Beispiel in den Dottersack oder die Schwanzvene verabreicht werden. Dieses Vorgehen wird hauptsächlich zur Wirksamkeitsprüfung von Antibiotika eingesetzt, bei der die Larve zuvor mit einem Zielpathogen infiziert wurde. Wegen der Komplexität ist diese Methode jedoch eher für geringe bis mittlere Durchsatzraten als für Hochdurchsatz-Screenings geeignet.
Durch die Regularien des Tierschutzes ist man bei der Testung auf die ersten fünf Lebenstage des Embryos beziehungsweise der Larve festgelegt. Dies klingt zunächst sehr kurz. Der Zebrafisch hat aber bereits nach 24 hpf ein mehr oder weniger vollständig ausgebildetes Organ- und Nervensystem entwickelt. So lassen sich in einem In-vitro-Experiment (das ZLM wird als fortgeschrittener Zellversuch gewertet) trotzdem In-vivo-Prozesse nachvollziehen.
Das kleine Zeitfenster von nur fünf Tagen lässt nur Kurzzeitversuche zu, chronische Effekte lassen sich mit dem ZLM nicht abbilden. Jedoch sind die ersten Lebenstage die sensitivsten im Leben eines Fisches. Akute Toxizitätstest stellen also immer ein worst-case Szenario dar. Konnte kein negativer Effekt eines Wirkstoffkandidaten im ZLM ermittelt werden, sind akuttoxische Effekte im weiter entwickelten Fisch sehr selten. Um das Risiko chronischer Effekte eines Wirkstoffkandidaten vollständig auszuschließen, sind jedoch nach wie vor Tierversuche unabdingbar.