Was denken Sie, wann Ihre Forschung angewendet werden kann, und welche Schritte fehlen bis dahin noch?
Simon: Wir haben zuletzt eine Förderung vom Bundesministerium für Bildung und Forschung bekommen und hoffen, dass wir mit dem Fraunhofer-Institut für Mikrotechnik und Mikrosysteme IMM in Mainz, den Firmen Bytec und R-Biopharm AG und mit unseren Intensivmedizinerinnen und Intensivmedizinern ein Schnellanalysegerät entwickeln können. Der Knackpunkt ist, dass wir einen Vollblutassay für diese DNA-Analytik ans Laufen bringen müssen, weil wir erkannt haben, dass die Prä-Analytik sehr wichtig ist: Häufig herrscht nach der Blutabnahme eine gewisse Sorglosigkeit, denn man hat ja dann die Blutprobe, aber im Grunde beeinflusst man schon mit der Abnahme die Probe. Schon durch die Art des Gerinnungsinhibitors und bei der Frage, ob die Blutprobe minimal über Kapillare, oder venös aus dem Vollblut abgenommen wird, werden die cfDNA Werte stark beeinflusst – von Fragen rund um die Probenstablilität unter einer realistische Lagerung in der klinischen Routine einer Notfallaufnahme einmal ganz abgesehen . Am besten wäre es, die Verfahrensschritte auf das absolute Minimum zu beschränken und direkt in der Vollprobe die cfDNA sensitiv genug zu messen – und das ist unser Ziel. Ich schätze, dass da noch fünf Jahre Entwicklungsarbeit reinfließen.
Sie haben schon vor der Pandemie zum Thema cfDNA geforscht – hat Corona Sie überrascht, sodass Sie in Ihrer Forschungsarbeit das Themengebiet gewechselt haben?
Simon: Tatsächlich haben wir schon vorher gewechselt. Denn das Gendoping beim Leistungssport, was wir vorher erforscht haben, ist mit unserer Methode zwar nachweisbar, aber es ist wahnsinnig aufwendig und im Sport (wo zur Zeit mit konventionellen Pharmaka gedopt werden kann) nicht sinnig anzuwenden. Deshalb haben wir schon früher angefangen, Indikatoren für Darmkrebs im Blut zu messen. Unter anderem hat uns die Frage getrieben, ob jemand mit Krebs noch mehr DNA freisetzt, wenn er sich körperlich betätigt, oder ob es eher weniger DNA ist. Das Ergebnis war, dass er zwar DNA freisetzt wie alle Menschen unter Belastung, dass es aber nicht die DNA aus dem Tumor ist, sondern DNA aus Immunzellen, während die Tumor-DNA sich sogar relativ gesehen verdünnt.
Für uns ist daher die Geschichte mit der DNA im Blut schon lange interessant und COVID-19 hat dem im Grunde nochmal das i-Tüpfelchen aufgesetzt, weil man jetzt erkennt, dass diese Werte als Belastungsmarker sehr relevant sind. Wir haben bei den Intensivpatientinnen und Intensivpatienten teilweise Werte, die Leistungssportlerinnen und Leistungssportler niemals erreichen werden – das sind Dimensionen der cfDNA, bei denen wir schon erkennen können, dass die Thrombose-Neigung enorm gesteigert sein muss. Denn die DNA ist klebrig, negativ geladen und bindet jede Menge positiv geladene Proteine: Die Immunzellen werfen "Netze" an DNA aus, um damit Bakterien und Viren zu immobilisieren – aber wenn sie das zu viel tun, dann wird so viel Erbgut freigesetzt, dass die Thromboseneigung steigt. In solchen Situationen sind wir mit unseren Messungen gut aufgestellt und können hoffentlich dazu beitragen, die Prognose zu verbessern, da man so besser den Einsatz von Geräten und Medikamenten planen kann.
Schauen Sie bitte noch einmal abschließend auf die MEDICA zurück: Wie hat Ihnen die MEDICA gefallen?
Simon: Es war für uns, die wir die MEDICA besuchen konnten, eigentlich toll, weil man schnell von Stand zu Stand gehen und mit den Leuten in die Diskussion kommen konnte. Für mich waren besonders die Forschungseinrichtungen und die Länder mit ihren jeweiligen Forschungen sehr interessant. Aber ich weiß, wie voll die MEDICA ist, wenn wir keine Pandemie haben, deshalb tat es auch etwas in der Seele weh.