Ein Forschungsteam um Dr. Thomas Rauen vom Max-Planck-Institut für molekulare Biomedizin in Münster hat nun in Zusammenarbeit mit der Gruppe von Dr. Peter Jones am NMI (Naturwissenschaftliches und Medizinisches Institut der Universität Tübingen) ein neuartiges Mikroelektroden-Array-System (Mesh-MEA) entwickelt, das nicht nur optimale Wachstumsbedingungen für humane Hirnorganoide schafft, sondern auch berührungslose elektrophysiologische Messungen während der gesamten Wachstumsphase ermöglicht. Dies eröffnet neue Perspektiven für die Erforschung verschiedener Erkrankungen des Gehirns sowie für die Entwicklung neuer Therapieansätze.
Nervenzellen kommunizieren über chemische Signale (Neurotransmitter), die in elektrische Signale umgewandelt werden und so die Information von einer Nervenzelle zur nächsten weitergeben. Auch in Hirn-Organoiden kommunizieren die Nervenzellen auf diese Weise miteinander.
"Um den Ursachen verschiedener Erkrankungen des Gehirns auf die Spur zu kommen und neue Therapieansätze zu finden, reicht es nicht aus, Nervenzellen unter dem Mikroskop zu betrachten. Man muss auch wissen, wie die Nervenzellen ‚ticken‘ – wie sie miteinander kommunizieren“, sagt Thomas Rauen. Bisherige Systeme, mit denen die Kommunikation zwischen den Nervenzellen in Hirn-Organoiden gemessen wurde, haben allerdings ihre Grenzen. Denn in den relativ großen Gehirn-Organoiden kommen die Sensoren entweder nicht nah genug an die Nervenzellen heran oder sie zerstören beim Einstechen Teile des Organoidgewebes.
Nun hat das Team von Dr. Thomas Rauen zusammen mit dem Team um Dr. Peter Jones ein neuartiges Mikroelektroden-Array-System (Mesh-MEA) entwickelt, das nicht nur optimale Wachstumsbedingungen für humane Hirn-Organoide schafft, sondern auch berührungslose elektrophysiologische Messungen während der gesamten Wachstumsphase der Hirn-Organoide ermöglicht.
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler kreierten eine Art Hängematte für die Hirn-Organoide: "Die hängemattenähnliche Netzstruktur stellt 61 Mikroelektroden für die elektrophysiologische Messungen der neuronalen Netzwerkaktivität bereit,“ erklärt Dr. Peter Jones das Design.
Die aktuelle Studie zeigt, dass sich Hirn-Organoide auf dem neu entwickelten Mesh-MEA bis zu einem Jahr lang kultivieren und elektrophysiologisch untersuchen lassen. "Das ist ein großer Erfolg, weil wir so Hirnorganoide viel länger als bislang untersuchen können. Die normale menschliche Gehirnentwicklung dauert ja sehr lange und auch neurodegenerative Erkrankungen entwickeln sich nur langsam,“ so Rauen.
Der Schlüssel des aktuellen Erfolgs liegt darin, dass die Hirnorganoide die spinnennetzartige MEA-Netzstruktur umwachsen. Das konnte Dr. Katherina Psathaki vom CellNanOs der Universität Osnabrück mit dem Elektronenmikroskop zeigen. Sie analysierte die Hirnorganoide in ihrer Hängematte ein Jahr nach Beginn der Kultivierung. "Die Aufnahmen zeigen deutlich, dass sich die Hirn-Organoide in dieser Netzstruktur frei hängend entwickeln. So sind sie einerseits optimal mit Sauerstoff und Nährstoffen versorgt, und andererseits befinden sich die Mikroelektroden mitten in dem Hirnorganoid,“ ergänzt Thomas Rauen.
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaflter beobachteten spontane neuronale Aktivität, die von den Mikroelektroden in den Hirn-Organoiden aufgezeichnet wurden. "Es gab kontinuierlich wiederkehrende, synchronisierte neuronale Aktivität während der gesamten Aufzeichnungsphase, was auf die Bildung neuronaler Netzwerke hindeutet, wie sie auch in vivo zu beobachten sind,“ sagt Thomas Rauen.
Auch wenn Hirnorganoide nicht alle Funktionen des menschlichen Gehirns abbilden können, sind Peter Jones und Thomas Rauen überzeugt, dass die elektrophysiologische Analyse von Hirnorganoiden mit ihrem neu entwickelten Mesh-MEA-System die Simulation spezieller funktioneller Aspekte der menschlichen Hirnentwicklung und ihrer Erkrankungen im Labor erlaubt, deren Untersuchung bisher noch nicht möglich war.
MEDICA.de; Quelle: Max-Planck-Institut für molekulare Biomedizin