Besonders geeignet für solche Therapien könnten Medikamentenpaare sein, die kollateral sensitiv sind. Das heißt, dass eine Resistenz gegenüber dem einen Medikament dazu führt, dass die Bakterien empfindlicher gegenüber dem anderen Medikament werden. Allerdings unterscheiden sich die Umgebungsbedingungen der Bakterien in Patientinnen und Patienten klar von denen in einem Labor. Ein wichtiger Unterschied dabei ist, dass die Medikamente im Labor abrupt gewechselt werden können, während bei den Patientinnen und Patienten natürliche Abbauprozesse zu schwankenden Antibiotika-Konzentrationen führen. Dabei kann es Phasen geben, in denen sich die Dosen aufeinanderfolgender Medikamentengaben überlagern. Während solcher Überschneidungs-phasen können Wechselwirkungen zwischen den Medikamenten die Evolutionsdynamik beeinflussen.
Um die Lücke zwischen dem Labor und einer möglichen klinischen Anwendung zu schließen, haben die Doktorandin Christin Nyhoegen und die Forschungsgruppenleiterin Dr. Hildegard Uecker der Forschungsgruppe Stochastische Evolutionäre Dynamik des MPI in Plön zwei mathematische Modelle zum Vergleich aufgestellt - ein "Labormodell" und ein pharmakokinetisch-pharmakodynamisches "Patientenmodell". Die Analyse zeigt, dass im Labor die Behandlung mit dem schnellsten Wechsel der Medikamente die Bakterienpopulation immer mindestens genauso gut unterdrückt, wie Behandlungen mit langsameren Wechseln. Bei der Behandlung von Patienten trifft das zwar häufig auch zu, manchmal kann jedoch ein etwas langsamerer Wechsel vorteilhaft sein. Das vor allem dann, wenn die Bakterien langsam replizieren und die pharmakodynamische Kurve steil ist oder die Medikamente antagonistisch wechselwirken. "Unsere Ergebnisse zeigen, dass sequentielle Therapie nicht nur im Labor, sondern auch im Patienten gut funktionieren könnte. Die optimale Strategie kann aber unter Umständen leicht variieren“, sagt die Doktorandin Christin Nyhoegen.
Wenn vor der Behandlung keine Resistenzen vorhanden sind, bringt die kollaterale Sensitivität keinen wesentlichen Vorteil, es sei denn, die Zellteilungsrate ist niedrig und der Wechsel zwischen den Medikamenten langsam. Im Gegensatz dazu haben Wechselwirkungen zwischen den Medikamenten einen großen Einfluss auf die Effizienz von Behandlungen, in denen schnell gewechselt wird. Das zeigt, wie wichtig diese für die optimale Auswahl von Medikamentenpaaren sein könnten.
Unabhängig von der theoretischen Studie gibt es erste Bemühungen, mittels Beobachtungsstudien Hinweise auf die Wirksamkeit der sequentiellen Therapie im Patienten zu erlangen. Ergebnisse dieser als auch der theoretischen Studie können eine Grundlage für die Planung randomisierter klinischer Studien bieten, die derzeit jedoch noch nicht umsetzbar sind.
MEDICA.de; Quelle: Max-Planck-Institut für Evolutionsbiologie