Das Projekt Welcome – Eine digitale Brücke für Familien von Frühgeborenen

Die Geburt eines Frühgeborenen ist für Eltern eine tiefgreifende Erfahrung, die mit intensiver medizinischer Betreuung beginnt und nach der Entlassung aus der Klinik oft Unsicherheit und Herausforderungen mit sich bringt. Das Projekt "Welcome" bietet eine innovative Lösung, um den Übergang von der Klinik nach Hause zu erleichtern.

Im Interview mit MEDICA.de erläutert Prof. Ulrich Fischer, einer der Initiatoren, wie das Projekt entstand, welche Hürden überwunden wurden und welche Visionen er für die Zukunft hat.

Prof. Fischer, wie entstand die Idee für das Projekt "Welcome"?

Prof. Ulrich Fischer: Die Idee geht auf ein persönliches Erlebnis zurück. Während meines Auslandssemesters in Kopenhagen Anfang der 2010er Jahre habe ich gesehen, wie Eltern von Frühgeborenen bereits per Videosprechstunde betreut wurden. Zurück in Deutschland fragte ich mich, warum wir hierzulande nichts Vergleichbares anbieten. Leider stieß ich zunächst auf Hindernisse: Es fehlte an technischen Möglichkeiten, rechtlichen Rahmenbedingungen und einem Bewusstsein für die Vorteile der Telemedizin. Erst 2022 konnten wir, nach langen Gesprächen mit unseren Projektpartnern, der Charité Berlin, der Techniker Krankenkasse und der LMU München, das Konzept konkretisieren und wurden schließlich 2024 mit Fördergeldern des Innovationsfonds des GBA ausgestattet. Das gab uns die Möglichkeit, "Welcome" auf den Weg zu bringen.

Welche Herausforderungen mussten Sie bei der Umsetzung bewältigen?

Fischer: Es gab technische, personelle und strukturelle Hürden. Auf der technischen Seite waren Datenschutz und die Infrastruktur entscheidend. Mit dem Projektpartner Cliniserve haben wir eine Technik-Plattform, die sowohl sicher als auch benutzerfreundlich ist. Die Corona-Pandemie hat uns in diesem Bereich geholfen, da die Akzeptanz und Verfügbarkeit von Telemedizin stark zugenommen haben.

Die größeren Herausforderungen lagen jedoch im organisatorischen Bereich. Eltern von Frühgeborenen verbringen oft Monate in der Klinik, wo sie rund um die Uhr betreut werden. Zuhause sind sie plötzlich auf sich allein gestellt. Unser Ziel ist es, diesen Übergang zu erleichtern. Gleichzeitig müssen wir sicherstellen, dass die telemedizinischen Angebote auch für Familien zugänglich sind, die in ländlichen Regionen leben oder Sprachbarrieren haben.

Wie unterstützt "Welcome" Familien praktisch?

Fischer: Familien erhalten während der routinehaften, sozialmedizinischen Nachsorge zusätzliche regelmäßige Videosprechstunden – 16 Termine in den ersten zwölf Wochen, zunächst zweimal wöchentlich, später einmal wöchentlich. Sie bekommen ein Paket mit telemedizinischen Geräten wie einem Stethoskop, einem Pulsoximeter und einer digitalen Waage. Über eine App haben sie Zugang zu einer Chatfunktion und einer Online-Bibliothek mit Anleitungen zu alltäglichen Aufgaben, etwa der Versorgung von Nasensonden oder Sauerstoffbrillen.

Das Ziel ist, den Eltern Selbstvertrauen und Kompetenzen zu vermitteln. Wir möchten sie befähigen, viele Situationen eigenständig zu meistern. Dabei betonen wir, dass unser Angebot die bestehende personenzentrierte Nachsorge ergänzt und nicht ersetzt. Gerade in ländlichen Regionen, wo spezialisierte ambulante Pflegedienste oft fehlen, kann "Welcome" eine entscheidende Unterstützung bieten.

Wie läuft die Studienphase des Projekts bisher?

Fischer: Das Projekt startete im Oktober 2024. Derzeit befinden wir uns in der Vorbereitungsphase: Wir entwickeln die App, bereiten Ethikanträge vor und klären organisatorische Details. Die eigentliche Erhebungsphase beginnt im Sommer 2025, wenn die ersten Kinder in die Studie eingeschlossen werden. Wir planen, 160 Frühgeborene und ihre Familien in zwei Gruppen zu betreuen – in München und Berlin. Unsere primäre Messgröße ist die Wiederaufnahmequote: Wie viele Kinder müssen innerhalb von 30 Tagen nach ihrer Entlassung erneut ins Krankenhaus? Aktuell liegt diese Quote bei fast einem Drittel, und wir hoffen, sie mit unserem Ansatz deutlich zu senken.

Welche Ziele verfolgen Sie langfristig mit "Welcome"?

Fischer: Wir wollen "Welcome" in fünf Jahren als reguläres Versorgungsangebot etablieren. Unsere Vision ist eine nachhaltige Unterstützung, die Familien Stabilität bietet und unnötige Krankenhausaufenthalte vermeidet. Dies kann nicht nur Kosten sparen, sondern erhöht vor allem auch die Lebensqualität der Betroffenen. Gleichzeitig möchten wir die Belastung für das Gesundheitssystem reduzieren und innovative Ansätze wie die Telemedizin stärker integrieren. Wichtig ist uns dabei immer, die Qualität der Betreuung zu steigern und Eltern langfristig zu befähigen, ihre Kinder selbstbewusst zu versorgen.