Direkter Weg für Medikamente ins Blut per Saugnapf

Bei vielen Erkrankungen ist eine wöchentliche oder auch tägliche Medikamentenaufnahme ins Blut notwendig. Um das für die Betroffenen schonender zu gestalten, haben Forschende einen Saugnapf für die Wangeninnenseite entwickelt. Durch den Saugnapf können Medikamente so non-invasiv direkt ins Blut gelangen. Mit der Gründung des Start-ups Transire Bio soll dieser nun markttauglich werden.

Im Interview mit MEDICA.de berichtet David Klein Cerrejon, wie genau der Saugnapf eingesetzt wird und bei welchen Behandlungen er die Therapie vereinfachen kann.

Herr Klein Cerrejon, wie funktioniert die Aufnahme von Medikamenten durch den Saugnapf?

David Klein Cerrejon: Es handelt sich um einen äußerst kleinen Saugnapf, der sich sowohl im Design als auch in der Form deutlich von den bisher im Alltag verwendeten Saugnäpfen unterscheidet. Denn das Design, welches wir beispielsweise von Küchenhaken kennen, funktioniert auf einer weichen Oberfläche wie der Innenseite der Wange nicht. Daher haben wir uns für die Gestaltung von den Saugnäpfen eines Oktopusses inspirieren lassen.

Der Saugnapf wird auf der Innenseite der Wange geklebt. Mit einem Finger setzt man ihn ein und hält mit einem anderen Finger mit Druck dagegen. Ist der Saugnapf einmal zusammengedrückt, bleibt er von allein haften. Der Saugnapf wird schon in der Produktion mit dem Medikament beladen und kann ähnlich wie eine Tablette im Blister an die Betroffenen abgegeben werden.

Einmal platziert, wird die Schleimhaut in den Napf gezogen und mechanisch leicht gedehnt. Zusammen mit den penetrationsfördernden Mittel können die Medikamente so durch die Schleimhaut diffundieren und direkt von den Kapillaren ins Blutsystem aufgenommen zu werden. Das funktioniert gut durch das Zusammenspiel von mechanischem Dehnen und der Einwirkung des penetrationsfördernden Mittels. Dabei wird die Schleimhaut jedoch nicht beschädigt.

Der Saugnapf ist für tägliche Anwendungen oder auch wöchentliche Anwendungen von 10 bis 30 Minuten geeignet. Im Zweifelsfall kann die Wange bei täglichen Anwendungen auch gewechselt werden, aber prinzipiell ist es ohne Probleme möglich, den Saugnapf immer an die gleiche Stelle zu setzen. Im Rahmen einer Studie mit Hunden, bei der wir eine Biopsie der betroffenen Stelle genommen haben, konnten wir sehen, dass nach 24 Stunden eine vollständige Regeneration der Schleimhäute stattgefunden hatte.

Für welche Behandlungen kann der Saugnapf eingesetzt werden?

Klein Cerrejon: Die Technologie ist eine Plattform und kann für verschiedene Behandlungen eingesetzt werden. Beispielsweise eignet sich der Saugnapf für GLP-1-Rezeptor-Agonisten, welche zur Behandlung von Diabetes Typ zwei eingesetzt werden. Dieses Medikament wird auch für die Behandlung von Übergewicht und potentiell zukünftig bei der Behandlung von kardiovaskulären Erkrankungen eingesetzt. Des Weiteren ist der Einsatz auch für eine Medikation aus dem Bereich der Osteoporose, die normalerweise mit einer täglichen Spritze verabreicht wird, umsetzbar.

Ein Einsatz bei beispielsweise Prostatakrebs könnte zukünftig auch eine Möglichkeit sein, genau wie der Einsatz für eine Reihe von anderen Medikamenten. Dafür müssen wir allerdings erst mit unseren Partnern im Detail untersuchen, was von Pharmaunternehmen entwickelt wird und wo Potenzial für eine Zusammenarbeit sein könnte.

Was sind die Vorteile des Produktes?

Klein Cerrejon: Ein Vorteil ist, dass ein großes Problem bei der Medikamentenaufnahme umgangen werden kann. Viele Medikamente, die Peptide enthalten, werden im Darm degradiert. Nach der Einnahme als Pille verarbeiten die Enzyme im Magen und Darm die Peptide schnell und es kann nicht genug der Wirkstoffe durch die Darmschleimhaut aufgenommen werden. Dadurch wird vom Medikament nicht genug in den Blutkreislauf aufgenommen, um einen therapeutischen Effekt zu entfalten. Das kann mit einer Verabreichung über den Saugnapf verhindert werden, da die Medikamente über die Schleimhaut der Wange direkt in den Blutkreislauf gelangen.

Weitere Vorteile sind die einfache Anwendung sowie keine Einschränkungen beim Zeitpunkt der Nahrungsaufnahme. Es ist ein sicheres Verfahren, da es nicht-invasiv ist und der Mund sich relativ schnell regeneriert.

Wie nachhaltig ist der Saugnapf als ein Einwegartikel?

Klein Cerrejon: Aktuell arbeiten wir noch mit silikonbasierenden Materialien. Als nächsten Schritt wollen wir allerdings vollständig auf biologisch abbaubare Materialien umsteigen. Unser Ziel ist es, ein Zero-Waste-Produkt anzubieten.

Was war die größte Herausforderung bei der Entwicklung?

Klein Cerrejon: Ein Herausforderung war die Formulierung, die eine Aufnahme der Medikamente durch die Wangeninnenseite ermöglicht. Wir mussten herausfinden, welche penetrationsfördernden Mittel funktionieren und welche nicht. Dabei konnten wir feststellen, dass körpereigene Stoffe in leicht abgewandelter Anwendung am besten funktionieren.

Eine weitere Herausforderung war auch das Studiendesign. Normalerweise werden Tierversuche erst mit Ratten, Mäusen und Hasen durchgeführt. Das war für den Saugnapf nicht möglich, da die Schleimhautstruktur sich zu stark von der eines Menschen unterscheidet. Dadurch war es notwendig, direkt mit einem großen Tiermodell mit Hunden zu starten. Das erforderte eine noch detailliertere Vorarbeit und Testung, bevor wir zu den In-vivo-Studien übergehen konnten.

Wie geht es jetzt weiter mit dem Produkt? Was sind die nächsten Schritte?

Klein Cerrejon: Gerade befinden wir uns in der Gründungsphase für unser Start-up Transire Bio. Wir erhalten verschiedene Fördermittel, unter anderem von der ETH, und sind aktuell in Gesprächen mit ersten Pharmaunternehmen, um Synergien zu finden. Für nächstes Jahr planen wir, weitere Partner zu finden und verstärkt Fundraising zu betreiben, um im Anschluss in präklinische und klinische Studien überzugehen. Wir sind zuversichtlich, dass wir schnell in die Klinik übergehen können aufgrund der bereits geleisteten Studienarbeit.