Kevin allein im Labor – Roboter entlastet Mitarbeiter

Wenn Kevin nachts allein im Labor war, finden die Mitarbeiter am nächsten Morgen kein Chaos vor, sondern beschriftete Röhrchen und vorbereitete Proben. Kevin ist ein Laborroboter, der vom Fraunhofer IPA entwickelt wurde, um die Mitarbeiter zu entlasten, damit diese sich auf das Wesentliche konzentrieren können: Forschung und Diagnostik.

Im Interview mit MEDICA.de spricht Tobias Brode über veraltete Prozesse im Labor, darüber, wie ein Roboter diese optimieren kann und warum Automation lebenswichtig sein kann.

Herr Brode, wie sehen klassische Arbeitsprozesse im Labor aus?

Tobias Brode: Im Labor haben wir die besondere Situation, dass es einerseits viele High-Tech-Geräte gibt, sich aber andererseits das Arbeiten an sich über die letzten hundert Jahre kaum verändert hat. Es ist immer noch so, dass Laboranten zwischen den verschiedenen Arbeitsplätzen und Geräten hin- und herlaufen, um Mikrotiterplatten, Gefäße, Proben und so weiter von einem Ort zum anderen zu befördern. Diese Geräte können zwar Teilprozessschritte autonom ausführen, eine Vernetzung der einzelnen Schritte ist aufgrund fehlender Kompatibilität meistens aber nicht möglich – weder digital noch physisch. Das Labor besteht sozusagen aus kleinen Automationsinseln, die nur durch die Mitarbeiter miteinander verbunden werden.

Natürlich können die eben beschriebenen Hürden durch den Einsatz von Geld und Zeit überwunden werden. Dies wird heute auch schon in Bereichen der Pharmaforschung oder in der Diagnostik getan, wo die Entwicklung einer Anlage nicht selten mehr als eine Million Euro kostet. Das sieht dann so aus, dass die verschiedenen Geräte um einen Roboter herum aufgestellt und mit einem Gehäuse umschlossen werden. Es sind also sehr starre Anlagen, die auf einen bestimmten Prozess beschränkt sind.

Ihr Laborroboter Kevin soll das ändern. Wie macht er das?

Brode: Die Idee hinter Kevin ist, Prozesse zu automatisieren, ohne die bestehende Infrastruktur kostspielig ändern zu müssen. In anderen Industrien gibt es hierfür spannende Beispiele. Ein weiterer Aspekt ist die bessere Auslastung der mitunter teuren Geräte. So können diese dank Kevins Mitarbeit auch nachts genutzt werden. Kevin nutzt einen kollaborativen Roboterarm der Firma Precise Automation, den wir auf einer von Fraunhofer entwickelten mobilen Plattform befestigt haben. Außerdem ist er mit einer Kamera, einem Bildverarbeitungsprogramm und einem Lernalgorithmus ausgestattet. Im Prinzip ist er ein Transportroboter, der zum Beispiel Proben von Gerät A zu Gerät B bringt. So kann er die unterschiedlichen Geräte im Labor miteinander vernetzen und einen Automationsprozess umsetzen, der in einer starren Anlage nicht möglich ist.

Welchen Mehrwert bietet Kevin – gerade auch in der aktuellen Zeit?

Brode: Wenn ein Mitarbeiter tagsüber einen Prozess begonnen und die Zellen abends in den Inkubator gebracht hat, kann es sein, dass nachts ein Medienwechsel gemacht oder eine Probe gezogen werden muss. Dank Kevin muss der Mitarbeiter nachts nicht selbst im Labor sein. Der Roboter kann autonom zum Inkubator fahren, die Zellkulturplatte entnehmen und sie zum Pipettierer bringen, wo ein Medienwechsel gemacht wird. Oder es wird eine Probe gezogen, die in ein Analysegerät gegeben wird. Danach bringt Kevin die Zellen wieder in den Inkubator.

Oft sind Mitarbeiter morgens mit Vorbereitungsschritten beschäftigt, die sie viel Zeit kosten. Dabei geht es um eher repetitive Arbeiten wie das Beschriften von Röhrchen oder die Vorbereitung der Proben. Solche Aufgaben kann Kevin gut in der Nacht übernehmen. Die vorbereiteten Fläschchen stehen also schon bereit, wenn die Mitarbeiter morgens ins Labor kommen, sodass sie direkt mit der wertschöpfenden Arbeit, also beispielsweise den Testungen, beginnen können. Das ist während der Corona-Pandemie natürlich umso sinnvoller. Die Einsatzzeiten des Laborequipments können dank Kevin auf die Nacht ausgeweitet werden, womit der Durchsatz der PCR-Tests erhöht und vielleicht Engpässe vermieden werden können – ohne, dass dadurch Mitarbeiter eine Nachtschicht einlegen müssen.

Gibt es etwas, das der Roboter nicht machen kann?

Brode: Kevin ist ein hoch spezialisierter Transportroboter. Er macht keine Experimente und kann zum Beispiel nicht pipettieren. Derartige Ansätze gibt es zwar auch, bislang gibt es jedoch noch keine sinnvollen Lösungen, die flexibel komplexe Handhabungsschritte sowohl zuverlässig als auch schnell wie ein Mensch realisieren würden. Kevin kann Hol-und-Bring-Aufgaben übernehmen und damit den Mitarbeitern die Arbeit erleichtern.

Ein Mitarbeiter sitzt zum Beispiel mit frisch sterilisierten Handschuhen an der Clean Bench und ihm fällt auf, dass ihm noch eine Zellkulturplatte fehlt. Er steht also auf, zieht sich die Handschuhe aus, geht ins Lager, holt die fehlenden Sachen, geht zurück zur Clean Bench und muss wieder alles sterilisieren. Das kann schon mal eine Viertelstunde dauern. Hier kann Kevin zum Einsatz kommen. Der Mitarbeiter ruft ihn am Arbeitsplatz per Knopfdruck und bestellt die benötigten Platten. Kevin fährt dann zum Lager und bringt ihm diese. Es geht nicht darum, dass der Roboter den Mitarbeiter ersetzt, sondern darum, dass dieser sich auf die Schritte konzentrieren kann, die einem Prozess die Wertschätzung bringen.

Sein volles Potenzial wird Kevin entfalten können, wenn mehr Labore über eine ausreichende Digitalisierung verfügen. Je umfangreicher die Vernetzungsmöglichkeiten sind, umso intelligenter kann Kevin seine Aufgaben übernehmen.

Können Sie uns einen Ausblick geben: Welche Bedeutung werden Robotik und Automation im medizinischen Umfeld zukünftig haben?

Brode: Flexible Automatisierung wird meines Erachtens zum Beispiel bei der Herstellung von Zelltherapeutika für die Krebsbehandlung eine große Rolle spielen. Eine CAR-T-Zelltherapie kostet aktuell gut 300.000 Euro pro Patient. Aufgrund der aufwendigen und langwierigen Prozessschritte kann der Bedarf nach solchen Therapeutika mit einer manuellen Herstellung nicht bezahlbar abgedeckt werden. Durch Automatisierung könnten die Kosten gesenkt und solche Therapien breiter zugänglich gemacht werden.

Ich glaube auch, dass durch eine Automatisierung solche Engpässe wie während der Corona-Pandemie vermieden werden können. Allerdings funktioniert das nur, wenn die Automatisierung flexibel ist. Die Automatisierung sollte also nicht nur für einen bestimmten Prozess realisiert werden, sondern so, dass je nach Bedarf verschiedene Prozesse automatisiert durchgeführt werden können. Nur so kann auf unterschiedliche Bedarfe – heute ist es Covid-19, morgen etwas Anderes – reagiert werden. Mit Kevin gehen wir einen großen Schritt in diese Richtung.