"Abnehmspritze": Paradigmenwechsel einerseits, Lifestyle-Spritze andererseits?

Manche Menschen mit Adipositas benötigen nachhaltige Hilfe, wenn eine Änderung des Lebensstils nichts bewirkt. Die Idee einer "Abnehmspritze" klingt attraktiv: wenige Injektionen, sichtbare Erfolge, keine Einschränkungen. Hinter dem verlockenden Bild der Spitze zum Abnehmen steckt eine komplexe Therapie, deren Anwendungen inzwischen auch für die Sportmedizin interessant ist. Die MEDICA 2025 greift dieses Thema auf.

"Viele [Menschen] kämpfen mit Übergewicht, das zu Gelenkschmerzen, Kurzatmigkeit oder anderen Erkrankungen führt und sie so vom Sport und einem aktiven Leben abhält. Diese Medikamente können der entscheidende Impuls sein, um diesen Teufelskreis zu durchbrechen", sagt Dr. Tim Hollstein, Universitätsklinikum Schleswig-Hollstein (UKSH) in Kiel. Er widmet sich dem Thema auf der MEDICA MEDICINE + SPORTS CONFERENCE.

Medikamente gegen hohes Gewicht seien dabei keine 'Wundermittel', so Hollstein weiter, aber "sie machen für viele den Einstieg und Wiedereinstieg in ein aktives Leben überhaupt erst möglich und lassen sie die Freude an Bewegung neu entdecken."

Die Medikamente, die umgangssprachlich oft als "Abnehmspritzen" bezeichnet werden, gehören zu Gruppen wie den GLP-1-Rezeptoragonisten oder Inkretinmimetika. Ein solches Medikament ahmt die Wirkung des körpereigenen Hormons GLP-1 nach. Das Medikament senkt das Hungergefühl, verstärkt das Sättigungsgefühl und verzögert die Magenentleerung.

Medikamente zur Reduktion des Gewichts sind unter verschiedenen Markennamen bekannt (bspw. Wegovy, Ozempic, Saxenda, Zepbound, Mounjaro), hinter denen verschiedene Wirkstoffe stehen (bspw. Semaglutid, Liraglutid, Tirzepatid).

Bisherige Präparate zur Gewichtsreduktion waren entweder kaum wirksam oder nicht sicher, sodass sie vom Markt genommen werden mussten. "Die neuen Medikamentenklassen bieten uns nun erstmals hocheffektive Werkzeuge. Ihre Relevanz für die Sportmedizin ist enorm", sagt Hollstein.

Der Begriff "Abnehmspritze" signalisiert indirekt eine Lifestyle-Anwendung der Medikamente. Hollstein sieht darin hingegen "einen Paradigmenwechsel in der Therapie der Volkskrankheit Adipositas". Über die Gewichtsreduktion hinaus, so erläutert er weiter, zeigten sich "beeindruckende positive Effekte auf eine ganze Reihe von Begleiterkrankungen wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Schlafapnoe, Fettleber oder Nierenerkrankungen. Es gibt sogar erste Hinweise auf eine Reduktion des Demenzrisikos."

Der Einsatz zur kosmetischen Reduktion von Gewicht durch die neuen Medikamente ist höchst umstritten, da bei vielen Menschen gar nicht die Notwendigkeit dazu besteht. Online wird jedoch häufig die Botschaft transportiert, dass auch normalgewichtige Menschen ein Medikament nutzen können und sollten, denen auch andere Maßnahmen helfen würden, wie eine Änderung des Lebensstils, der Ernährungs- und Bewegungsgewohnheiten.

Diese Nutzung ist aber nicht ausreichend erforscht, kann damit also auch Risiken bergen. Ein großes Problem beim Onlinehandel sind außerdem Fälschungen der Medikamente, deren Nutzung potenziell gefährlich ist.

Im Bereich des Sports sieht Hollstein zudem das Risiko des Missbrauchs, "etwa zur schnellen Gewichtsreduktion in Sportarten mit Gewichtsklassen. Das ist eine wichtige ethische und regulatorische Herausforderung für Verbände und Anti-Doping-Agenturen." Ein derartiger Gebrauch müsse aber klar abgegrenzt werden von den positiven Effekten, die die Medikamente bei Menschen mit starkem Übergewicht oder Adipositas hätten.