APRICOT-Projekt: Implantat "hilf(t) dem Menschen, sich selbst zu heilen"
APRICOT-Projekt: Implantat "hilf(t) dem Menschen, sich selbst zu heilen"
Interview mit Dr. Oliver Schwarz, Wissenschaftler am Fraunhofer Institut für Produktionstechnik und Automatisierung (IPA) und freier Dozent an der Universität Stuttgart sowie der Steinbeishochschule Berlin.
01.01.2020
In der heutigen Zeit werden Menschen immer älter, die Anzahl der Arthrose-Patienten steigt. Aber auch bei der jüngeren Generation ist aufgrund der täglichen Anwendung mobiler Geräte das Risiko, an Arthrose zu erkranken erhöht. Das EU-Projekt APRICOT entwickelt einen neuen Implantattyp zur Behandlung von Fingergelenkarthrose – eine Hilfe zur Selbstheilung.
Dr. Oliver Schwarz, Wissenschaftler am Fraunhofer IPA und Teilnehmer des EU-Projekts APRICOT.
Im Interview mit MEDICA.de erklärt Dr. Oliver Schwarz, wie das Expertenteam des Projekts APRICOT auf die Idee zum neuartigen Implantat gekommen ist. Er zeigt die Vorteile bei der Operation des Implantats auf und nennt die positiven Auswirkungen, die es auf zukünftige Entwicklungen im Bereich Endprothetik haben könnte.
Sieben Partnerinstitutionen aus Großbritannien, Deutschland, Niederlande und Schweden entwickeln im Projekt APRICOT einen neuen Implantattyp zur Behandlung von Fingergelenkarthrose. Wie kamen Sie auf die Idee, das neue Implantat zu entwickeln?
Dr. Oliver Schwarz: Dr. Andy Taylor von Aurora Medical, Southampton, hatte die Idee zu diesem disruptiven Ansatz. Er hat sie bereits als Patent eingereicht. Das Fraunhofer IPA arbeitet seit langem mit bionischen Ansätzen und verfügt über Expertise in der Strukturmechanik von Elastomerimplantaten. Aus dem Grund und da wir bereits in früheren Projekten vertrauensvoll zusammengearbeitet haben, haben wir uns sehr gefreut, nun auch wieder Teil des Expertenteams zu sein, das die Idee ausarbeiten wird.
Aus welchem Material besteht das neuartige Implantat?
Schwarz: Wir haben uns noch nicht auf ein Polymer festgelegt. Wir scannen gerade den Markt nach biokompatiblen, biostabilen und medizinisch zugelassenen Materialien. Die Polymere, die in die engere Wahl kommen, müssen dann von uns auf ihre mechanischen Eigenschaften untersucht werden. Sie müssen harte Tests bestehen, um für unsere Anwendung geeignet zu sein.
Welche Vorteile ergeben sich bei der Implantation?
Schwarz: Normalerweise ist eine derartige Operation stark invasiv, das heißt es werden Knochen- und Gewebematerial im Gelenkspalt abgetragen und Kavitäten beziehungsweise Hohlräume im Knochen geschaffen, damit das Implantat rotationsstabil verankert werden kann. Die Operation für den neuartigen Implantattyp soll minimal-invasiv verlaufen. Gesunde Knochen und Gewebe sollen ganz erhalten bleiben.
Die Operation für den neuartigen Implantat bei Fingergelenkarthrose des EU-Projekts APRICOT soll minimal-invasiv verlaufen, gesunde Knochen und Gewebe sollen ganz erhalten bleiben.
Wo genau wird das Implantat eingesetzt?
Schwarz: Im Rahmen des Projekts werden wir uns auf die Fingerendgelenke konzentrieren. Das Konzept kann später auf Fingergrundgelenke und andere Gelenke der Handwurzel übertragen werden.
Wie hoch werden die Kosten für diese Implantate sein?
Schwarz: Das kann derzeit noch nicht gesagt werden. Darüber entscheiden der finale Aufwand für die Herstellung, das Volumen und der Markt. Jedenfalls werden die teuersten Kosten der Operation, die des Mikro-Handchirurgen, aufgrund des minimal-invasiven Verfahrens deutlich geringer ausfallen.
Die Kosten müssen auch relativ zum Nutzen gesehen werden. Nutzen ist primär die Lebensqualität des Patienten, der nach der Implantation nicht mehr bei jeder Fingerbewegung Schmerzen haben beziehungsweise keine Schmerzmittel mehr einnehmen muss. Auch wird die Heilung nach der Operation wesentlich schneller verlaufen und mit wenig Schmerzen verbunden sein.
Das APRICOT-Projekt wurde im Rahmen der Finanzhilfevereinbarung Nr. 863183 aus dem Forschungs- und Innovationsprogramm Horizont 2020 der Europäischen Union finanziert.
Inwiefern geht APRICOT über die bisherigen Implantatlösungen hinaus?
Schwarz: Bisher wartet der Patient, bis die Schmerzen infolge Knorpeldegeneration so groß sind, dass er sich zu einem Gelenkersatz durchringt. Der Einsatz des Apricot Implantats wird bereits viel früher im Krankheitsverlauf der Gelenksarthrose erfolgen können. Das Implantat schützt die geschädigte Knorpelstruktur und könnte dann, so meine Hoffnung, eine Knorpelregeneration ermöglichen. Dann wäre sogar nur ein temporärer Einsatz des Implantats vonnöten. Das werden wir jedoch erst in ein paar Jahren wissen. Das Potenzial dafür ist jedenfalls gegeben.
Welche möglichen positiven Auswirkungen hat das Implantat auf weitere zukünftige Entwicklungen im Bereich Endoprothesen?
Schwarz: Der disruptive Ansatz besteht darin, dass das Implantat einfach und ohne Kollateralschäden implantiert werden kann. Dadurch wird der Erhalt und der mechanische Schutz des geschädigten Gelenkgewebes mit dem Potenzial zur Selbstheilung möglich. Dies ist völlig anders als der bisher praktizierte Komplettersatz.
"Erhalte das, was zu erhalten ist" und "Hilf dem Menschen, sich selbst zu heilen" ist in der Endoprothetik-Chirurgie ein "game changing"-Ansatz.
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