Wo liegt der Vorteil gegenüber anderen Analysemethoden?
Stiebing: Raman-Spektroskopie funktioniert ohne jegliche Färbung, im Gegensatz etwa zur Fluoreszenzspektroskopie. Wir können auch die typische histologische Färbung an Ex-vivo-Schnitten umgehen und konnten zeigen, dass wir in Gewebequerschnitten die verschiedenen Netzhautschichten identifizieren können. Somit ist die Raman-Spektroskopie eine Methode, die man auch direkt am Patienten, in vivo, anwenden kann.
Im Vergleich zu anderen Untersuchungsmethoden der Netzhaut liefert die Raman-Spektroskopie auch zusätzliche, breit gefächerte biochemische Informationen, während bisherige Untersuchungsmethoden wie die Optische Kohärenztomografie (OCT) hauptsächlich morphologische Informationen liefern. Mit der Raman-Spektroskopie können Mediziner somit Informationen erhalten, die ihnen noch nicht zur Verfügung stehen.
Woher kommt die Idee, damit überhaupt die Netzhaut zu untersuchen?
Jahn: In der Literatur wird behauptet, dass es besonders im frühen Stadium von Netzhauterkrankungen schon zu biochemischen Veränderungen kommt, die strukturell noch keine Veränderung hervorrufen. Die Raman-Spektroskopie liefert Informationen über die biochemische Zusammensetzung der Gewebe. Daher könnte sie eine Methode sein, die diese Veränderungen sichtbar machen kann. Die Netzhaut ist, ähnlich dem Gehirn, aus Nervengewebe aufgebaut und über den Sehnerv direkt mit dem Gehirn verbunden. Die Hypothese ist daher, dass sich neurodegenerative Erkrankungen wie Alzheimer damit auch in der Netzhaut manifestieren, wofür sich in der Literatur die Beweise verdichten.
Deshalb war die Idee des MOON-Projekts, die Vorteile der bereits etablierten OCT mit der Raman-Spektroskopie zu verbinden, um ein umfangreiches Bild der Netzhaut erstellen zu können.
Es wird jetzt ein Gerät zur Kombination von OCT und Raman-Spektroskopie entwickelt. Wie sind Sie am weiteren Fortgang beteiligt?
Stiebing: Unsere Projektpartner in Wien beantragen im Moment die Zulassung des Geräts, die hoffentlich auch zeitnah eine Zusage erhält. Dann können erste In-vivo-Untersuchung an Menschen durchgeführt werden. Hier arbeiten wir natürlich weiterhin eng zusammen und stellen die Expertise in der Evaluation der Raman-Daten zur Verfügung. Das wird hoffentlich auch Aufschluss über den diagnostischen Nutzen bringen.