Interview mit Prof. Emanuela Keller, Neurochirurgische Intensivstation, Klinik für Neurochirurgie, Universitätsspital Zürich
03/08/2020
Rund 700 Alarme täglich lösen Monitoring-Systeme auf der Intensivstation pro Patient aus – also etwa einen Alarm alle zwei Minuten. Viele davon sind Fehlalarme. Die daraus resultierenden riesigen Datenmengen führen dazu, dass das Erkennen kritischer Situationen erschwert wird. Darunter leidet schließlich die Behandlung der Intensivpatienten. Diesem Problem widmet sich das Projekt ICU-Cockpit.
Prof. Emanuela Keller, Neurochirurgische Intensivstation, Klinik für Neurochirurgie, Universitätsspital Zürich
Im Interview mit MEDICA.de spricht Prof. Emanuela Keller darüber, wie die Datenberge effizient genutzt werden können, inwiefern Digitalisierung zu mehr Menschlichkeit beiträgt und was die Intensivstation der Zukunft kennzeichnen könnte.
Frau Prof. Keller, was ist das Ziel des ICU-Cockpit-Projektes?
Prof. Emanuela Keller: Unser Ziel ist es, mithilfe von Big Data kritische Ereignisse von Patienten auf der Intensivstation vorherzusagen und Fehlalarme zu vermeiden.
Wir haben in der Intensivmedizin und speziell auch in der Neurointensivmedizin zahlreiche medizintechnische Geräte, die mit Biosensoren Signale messen. Die dabei produzierten Daten sind so zahlreich und verschiedenartig, dass wir sie nicht mehr gut zusammenführen und interpretieren können. Wir haben also für jeden Patienten viele Gigabyte an Daten, die in seiner elektronischen Krankengeschichte nicht dargestellt und generell schwierig zu integrieren sind und die wir einfach nicht nutzen. Wir möchten diese großen Datenmengen nun mithilfe von Künstlicher Intelligenz auswerten, um kritische Ereignisse frühzeitig erkennen zu können – und zwar zu jedem Zeitpunkt. In unserer Forschergruppe entwickeln wir Algorithmen, um genau das zu tun und um diese Ereignisse dann auch nutzerfreundlich in einem IT-System darzustellen.
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Mithilfe von KI möchten Prof. Keller und ihr Team die Behandlung von Patienten auf der Intensivstation verbessern.
Welche Erfolge konnten Sie im Projekt bis dato verbuchen?
Keller: Wir haben schon – unter anderem basierend auf Videoaufnahmen und Hirnstrommessungen – erste Algorithmen entwickelt. Damit können wir epileptische Krampfanfälle sowie kritische Hirndurchblutungsstörungen und sekundäre Hirnschädigungen bei Neurointensivpatienten frühzeitig erkennen.
Inwiefern verbessert oder verändert das die Behandlung von Patienten auf der Intensivstation?
Keller: Indem wir Artefakte – also Fehlmessungen – automatisch im Biosignal erkennen, können wir die Sicherheit der Patienten erhöhen. Und wenn wir kritische Zustandsbilder frühzeitig erkennen, können wir auch früher reagieren, was die Behandlung der Patienten in Zukunft verbessern kann.
Ich denke, dass die Digitalisierung auf der Intensivstation außerdem zu mehr Menschlichkeit betragen kann, da Pflegekräfte und auch wir Ärzte von ermüdenden Tätigkeiten entlastet werden. Wir können uns besser auf den einzelnen Patienten konzentrieren, haben wieder mehr Zeit für den Kontakt mit ihm und auch für Angehörigengespräche.
Wie könnte Ihrer Meinung nach die Intensivstation der Zukunft aussehen?
Keller: Big Data und auch KI werden auf der Intensivstation eine große Rolle spielen. Sie können dazu beitragen, die Sicherheit der Patienten zu erhöhen und dadurch die Behandlung zu verbessern und letztlich auch Kosten zu sparen. Mithilfe digitaler Technologien wie Telemedizin könnten Patienten früher auf Normalstationen verlegt werden. Patienten könnten dann auch aus der Ferne intensivmedizinisch überwacht werden. Die Intensivstation wird sich also meiner Meinung nach durch KI und Telemedizin definitiv verändern.
Das Interview wurde geführt von Elena Blume. MEDICA.de