Besonders kritisch ist das dort, wo viele Menschen zusammenkommen – in Schulen, Hörsälen und Seminarräumen zum Beispiel. Das tatsächliche Infektionsrisiko im konkreten Einzelfall – also unter Beachtung von Faktoren wie Raumvolumen, Abstand, Personenanzahl – ist jedoch schwierig abzuschätzen.
Eine Arbeitsgruppe der Fakultät Ingenieurwissenschaften der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur Leipzig (HTWK Leipzig) hat deshalb ein genaues Modell zur Viruskonzentration durch Luftströmungen im Raum entwickelt. Es simuliert die durch Atmung bedingte Virusbelastung in geschlossenen Räumen mit Hilfe strömungsmechanischer Modelle – und zwar für jede einzelne Person im Raum. Die Gruppe um Stephan Schönfelder, Professor für die Simulation energetischer und technischer Systeme, hat verschiedene Szenarien am Beispiel eines Seminarraums der Hochschule simuliert: jeweils mit bzw. ohne Belüftung durch Fenster sowie mit und ohne sprechende Lehrperson mit der Annahme, dass diese infiziert ist.
Den ersten Modellen für einen Seminarraum liegen folgende Annahmen zugrunde, die variiert werden können: Die Lehrperson ist Infektionsquelle und steht vorn, der Abstand zur ersten Bank beträgt 1,5 Meter, der Raum ist 80 Quadratmeter groß bei drei Metern Deckenhöhe, und die Personenanzahl ist festgelegt – 16 Personen ohne Mund-Nasen-Schutz befinden sich in dem Raum, jeweils mindestens im Abstand der geforderten 1,5 Meter. Die Annahme über die Partikelanzahl der Aerosole (basierend auf aktueller Literatur): Weniger als 500 Partikel bergen ein niedriges Ansteckungsrisiko, ab mehr als 500 Partikeln ist das Ansteckungsrisiko hoch, das bedeutet, eine Infektion ist wahrscheinlich. Anhand dieser Faktoren können konkrete Viruskonzentrationen über eine bestimmte Zeit berechnet werden. In der Simulation wurden 90 Minuten Aufenthalt zugrunde gelegt – die Dauer eines Seminars. In der Anwendung bedeutet das: Wenn bekannt ist, welche Viruskonzentration kritisch ist, können maximale Kontakt- bzw. Aufenthaltszeiten in Innenräumen verschiedener Art genau bestimmt werden.
Die Ergebnisse der HTWK-Simulation für den geschilderten und auf dieser Basis berechneten Fall: Wenn der Raum gelüftet wird und eine infizierte Lehrperson darin spricht, kann rund 40 Minuten unterrichtet werden, bevor erstmals eine hohe Ansteckungsgefahr für jemanden besteht. Bei Belüftung, aber ohne Sprechen – zum Beispiel in einer schriftlichen Prüfung – besteht erst nach circa 75 Minuten ein hohes Risiko. Ohne Belüftung und mit Sprechen tritt das hohe Risiko für die erste Person bereits nach rund 30 Minuten ein, und ohne Lüftung und ohne Sprechen nach 50 Minuten. Betrachtet man aber alle Personen im Raum, zeigt sich ohne Lüftung nach einer Stunde ein hohes Infektionsrisiko für alle, während mit Lüftung nach der gleichen Zeit nur sechs Personen betroffen sind (40 Prozent). In der Prüfungssituation (Annahme: niemand spricht) besteht nach 90 Minuten ohne Lüftung für zwölf von 15 Studierenden zumindest eine hohe Infektionsgefahr, mit Lüftung nur für drei von 15. Interessant ist auch, dass aufgrund der hier besonderen räumlichen Strömungsgegebenheiten ohne Lüftung sich nicht die Person ansteckt, die der Infektionsquelle am nächsten ist, sondern erst eine Person in der zweiten Reihe. Dies zeigt, dass es auch lokale Effekte in Innenräumen zu berücksichtigen gilt, wenn das Infektionsrisiko genau analysiert werden soll. Generell ist es jedoch erwartungsgemäß am besten, wenn man sich so weit wie möglich von der Infektionsquelle entfernt aufhält.
"Risiken zu Infektionsgefahren werden derzeit in komplexen Modellen mit dennoch notwendigen Vereinfachungen abgeschätzt, dazu gibt es auch schon Rechner im Internet. Dies sind ohne Zweifel gute Verfahren für eine übergeordnete statistische Bewertung der Situation, können aber ganz lokale Effekte in Innenräumen nicht abbilden. Wir können aber genau das mit unseren Modellen. Das heißt, für jeden einzelnen Quadratmeter im Raum können wir das Infektionsrisiko konkret abschätzen und auch, wie es sich mit der Zeit entwickelt", so Schönfelder.
MEDICA.de; Quelle: Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur Leipzig