Dr. Quick, welche Rolle spielen RNA-Technologien in der Labormedizin?
Dr. Peter Quick: Die Zellbiologie wird immer präziser messbar und die Gentechnik immer besser steuerbar. Es beginnt die Ära der Nukleinsäure-Therapeutika. Dabei geht es um zukünftige Anwendungen von RNA-Technologien, weit über die bekannten Impfstoffe hinaus, und auch um eine zunehmende Vernetzung mit Gen- und Zelltherapien (CGT). So sind sowohl Wettbewerb, gegenseitige Verstärkungen als auch Analogien zwischen beiden Feldern vorherzusehen, bis zur Unterstützung durch die Labormedizin und andere Dienstleister, vor allem mittels Life Science Research-Technologien.
Es gilt, die folgenden Herausforderungen zu adressieren: Wie zielgenau und nebenwirkungssicher erfolgt der Transport der Werkzeuge in den Körper – einerseits durch lipid- und polymer-basierte Nanopartikel (RNA), andererseits durch Viren (CGT)? Treten ungewünschte Aktivierungen des Immunsystems auf? Außerdem geht es bei jedem Prozessschritt um Qualitätskontrolle mit standardisierten und möglichst automatisierten Tests. Dabei stellen sich die Fragen: Ist Therapieerfolg vorhersagbar? Und lassen sich Kosten reduzieren?
Was bedeuten neue Modalitäten bei RNA-Technologien für die Labormedizin?
Quick: Etwa ein Dutzend RNA-Therapien hat die FDA (Food and Drug Administration) bis Ende 2021 zugelassen, die meisten basieren auf Antisense-Oligonukleotiden (ASO)- und kleinen interferierenden RNA (siRNA)-Kandidaten für genetische Erkrankungen. Heute geht die Entwicklung jedoch über genetische Erkrankungen hinaus, zu RNA-Impfstoffen und Therapeutika für die Onkologie, Ophthalmologie, Infektions- und Stoffwechselerkrankungen, bis hin zu klinischen Prüfungen von circa zwei Dutzend neuer Verfahren in 2022. Dabei erhält die nicht-kodierende RNA besondere Aufmerksamkeit aufgrund ihrer Tumorspezifität. Eine weitere Gruppe von RNA-Molekülen, die Transfer-RNAs (tRNA), könnte die ribosomale Biogenese regulieren, die für maligne Zustände bedeutend ist, zum Beispiel überall wo Zellen überwachsen werden, wie in der Onkologie oder bei Autoimmunerkrankungen.
Die größte Hürde bei RNA-Therapeutika ist jedoch immer noch die Erleichterung der Abgabe über den First-Pass-Effekt der Leber hinaus. Denn bei der Umwandlung eines Arzneistoffes während dessen erster Passage durch die Leber kann die dabei stattfindende biochemische Umwandlung zu einem wirksamen oder unwirksamen Metabolit führen. Ursprüngliche siRNA LNP (Liquide Nanopartikel) Formulierungen skizzierten den Pfad für Covid-19-mRNA-Vakzine, und es ist sehr wertvoll, diese Nanopartikel reproduzierbar herzustellen und auch mit langen RNA-Sequenzen beladen zu können. Allerdings können LNPs das Immunsystem heftig stimulieren, was ein Vorteil für Impfstoffe ist, aber eher unerwünscht bei zum Beispiel Huntington oder SMA (Spinale Muskelatrophie). Auf diese Herausforderungen richten sich viele der neu entstehenden Ansätze, die dem medizinischen Publikum meist noch nicht bekannt sind.