Molekulare Bildgebung: Schlaganfall schnell und sicher im Blick
Molekulare Bildgebung: Schlaganfall schnell und sicher im Blick
Interview mit Dr. Matthias Gräser, Gruppenleiter der Instrumentierung am Institut für Biomedizinische Bildgebung (IBI), der gemeinsamen Forschungsabteilung des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf und der Technischen Universität Hamburg
02.06.2020
Nach einem Schlaganfall sind Patienten auf eine stationäre Versorgung angewiesen. Lebensnotwendige und überwachende Geräte tragen dazu bei, dass sie sicher und effektiv behandelt werden. Ein neues tomographisches Bildgebungsgerät soll helfen, den riskanten Weg des Patienten in die Radiologie zu vermeiden und eine direkte Überwachung der Gehirndurchblutung am Patientenbett zu ermöglichen.
Dr. Matthias Gräser, Gruppenleiter der Instrumentierung am Institut für Biomedizinische Bildgebung (IBI).
Im Interview mit MEDICA.de spricht Dr. Matthias Gräser über das neue tomographische Bildgebungsgerät für die Schlaganfallintensivstation, erläutert dessen Funktion und Vorteile und stellt heraus, inwiefern es die Arbeitsbelastung für das medizinische Personal reduziert.
Wie kamen Sie auf die Idee, das diagnostische tomographische Bildgebungsgerät zu entwickeln?
Dr. Matthias Gräser: Unsere Gruppe arbeitet am Institut für Biomedizinische Bildgebung (IBI) seit Jahren daran, das Magnetic Particle Imaging (MPI) in die Klinik zu bringen. Bisher waren die Geräte präklinisch, das heißt für Versuche an Kleintieren gebaut. Die Skalierung für den Menschen bringt aber andere Herausforderungen mit sich. Hier müssen nicht nur medizintechnische Sicherheitsnormen berücksichtigt werden, sondern es muss auch sichergestellt werden, dass die magnetischen Felder keine Nerven stimulieren und so beispielsweise zu Muskelzuckungen führen. Das Ziel dieser Forschung ist es, die Technologie für den Menschen verfügbar zu machen. Hierzu haben wir uns für ein System entschieden, das eine Versorgungslücke auf der Schlaganfallintensivstation mit einfachen technischen Mitteln schließt. Durch den im Vergleich zum Brustkorb, der Körperstelle, an der viele Bildgebungsverfahren ansetzen, viel kleineren Kopf, können wir das System kompakter bauen, was die benötigte Leistung zur Bereitstellung der magnetischen Felder reduziert. Außerdem reicht für die Detektion eines Schlaganfalls eine grobe Bildauflösung, da die Durchblutungsdefekte im Kopf meist große Gebiete von mehreren Millilitern Gehirnvolumen umfassen.
Worin unterscheiden sich das neue MPI von herkömmlichen Bildgebungssystemen wie der CT oder MRT?
Gräser: Das MPI setzt wie die MRT auf Magnetfelder und kommt somit ebenfalls ohne ionisierende Strahlung aus. Im Vergleich zur MRT bildet das MPI nicht die Anatomie, sondern ein Kontrastmittel ab. Die MPI weist somit einen hervorragenden Kontrast-zu-Rausch-Abstand auf, das heißt, dass wir mit dem Bildgebungssystem auch bereits geringe Mengen des Kontrastmittels im Körper erkennen können, ohne dass es zu einer störenden Überstrahlung durch die Anatomie kommt. Weiterhin verfügt das MPI über eine hohe Bildwiederholrate von 42 Volumen pro Sekunde. Es kann somit in kurzen Zeitabständen die quantitative Gehirndurchblutung abbilden. Zudem weist das MPI niedrige Magnetfelder von weniger als 100 Millitesla im Vergleich zur MRT mit bis zu 3 Tesla auf. Dadurch können wir unsere Geräte flexibler und mobiler gestalten, als es beim MRT möglich ist.
Das neue Bildgebungsgerät für Schlaganfall-Patienten kommt ohne ionisierende Strahlung aus. Die Technologie funktioniert auf Basis von Eisenoxid-Nanopartikeln, die in die Blutlaufbahn gespritzt werden und als Kontrastmittel dienen.
Was misst das MPI beziehungsweise wie funktioniert es?
Gräser: Das System misst die örtliche Verteilung von kleinen, wenige Nanometer großen Eisenoxid-Partikeln, die als Kontrastmittel dienen. Diese Partikel wollen sich wie kleine Elementarmagnete im Magnetfeld ausrichten. Das Ausrichten können wir wiederum elektronisch in Empfangsspulen messen. Durch eine Überlagerung statischer und veränderlicher Magnetfelder prägen wir jedem Ort im Messfeld ein anderes Verhalten dieses Ausrichtungsprozesses auf. Wird das Kontrastmittel dann als Pharmazeutikum in die Blutbahn injiziert, verteilt es sich im Körper. Die Nanopartikel werden von außen durch mehrere Magnetfelder angeregt. Wir empfangen die Summe der Signale von verschiedenen Orten in den Empfangsspulen. Durch eine vorherige Kalibrationsmessung erlangen wir Vorwissen, wie sich das Kontrastmittel an verschiedenen Stellen im Messfeld verhält. Wenn im Anschluss ein Bild am Patienten gemessen wird, empfangen wir eine Überlagerung aller Signale im Messfeld und können durch unser Vorwissen anhand eines linearen Gleichungssystems zurückrechnen, von wo wieviel Signal kam. Diese Information können wir dann als medizinisches Bild in Graustufen, ähnlich einer MRT-Aufnahme, darstellen.
Dr. Matthias Gräser (rechts) und Institutsleiter Prof. Tobias Knopp (links) arbeiten an der Weiterentwicklung des neuen Magnetic Particle Imaging (MPI).
Worin liegen die Herausforderungen in der Nutzung des Systems?
Gräser: Die größte Herausforderung ist die duale Nutzung von Kontrastmittel und Instrumentierung. Zwar gibt es MRT-Kontrastmittel, die für MPI funktionieren, aber die besten Kontrastmittel müssen erst noch zugelassen werden. Das ist ein zeit- und finanzintensiver Prozess. Ein weiterer Aspekt besteht darin, den Prototypen zu einem elektrisch und medizinisch sicheren System weiterzuentwickeln. Erst dann sind erste Bilder des Menschen zu erwarten.
Welche Aspekte schließen die Lücke in der Versorgung der Schlaganfallpatienten?
Gräser: Aktuell gibt es auf der Schlaganfallintensivstation schlicht keine Bildgebung. Die reine Verfügbarkeit eines Systems direkt am Patienten wäre für die Kliniker ein großer Zugewinn. So können sich Patient und Arzt den riskanten Weg durch die Klinik zum nächsten CT sparen und der Arzt erhält Informationen über den Zustand des Patienten vor Ort.
Oft müssen am Krankenbett bei Patienten nach einem Schlaganfall auf der Intensivstation mehrere lebenserhaltende und überwachende Geräte angebracht werden. Welche Vorteile bietet das neue Bildgebungssystem mit Fokus auf Montage?
Gräser: Unser System hat einen Flächenbedarf von gerade einmal 1,5 Quadratmetern. Aktuell steht noch ein Schrank daneben, in dem weitere Technik untergebracht ist. Die Technik wird aber langfristig in das System integriert. Erst wenn das System einen geringen Platzbedarf aufweist, kann es in der Intensivstation eingebracht werden.
Inwiefern reduziert das neue Bildgebungsgerät die Arbeitsbelastung für das medizinische Personal?
Gräser: Aktuell überprüfen Mitarbeiter der Intensivstationen regelmäßig die Gehirnfunktionen der Schlaganfallpatienten. Hierzu werden unter anderem die Irisreaktionen bestimmt und Gespräche mit Patienten geführt, sofern sie bei Bewusstsein sind. Bei einer Verschlechterung der Gehirnfunktion, die sich zum Beispiel in fehlenden Erinnerungen oder dem Ausbleiben von Reaktionen auf Reize zeigt, wird ein CT angeordnet. Das MPI kann die Gehirndurchblutung direkt auf der Intensivstation überwachen und bereits Perfusionsreduktionen um 30 Prozent im Phantomversuch erkennen. Bei einem Phantomversuch zeigt der Patient meist noch keine Anzeichen eines Perfusionsdefekts. Da das System jedoch eine hohe Sensitivität aufweist, erkennt es, wenn bei einer der Untersuchungen im 30-Minuten-Takt Verschlechterungen der Gehirnfunktion auftreten und verständigt das Personal. Hier müssen zunächst medizinische Studien die Zuverlässigkeit am Patienten bestätigen. Das Potential ist aber sehr groß.
Weitere spannende Beiträge zum Thema aus der MEDICA.de-Redaktion: