Für Menschen, die beispielsweise aufgrund einer Rückenmarksverletzung, eines Schlaganfalls oder einer anderen Krankheit ihre Hände oder Beine nicht bewegen können, stellen sog. Brain-Computer-Interfaces (BCIs) eine große Hoffnung dar: Diese Gehirn-Computer-Schnittstellen ermöglichen die Steuerung eines Gerätes allein mittels Hirnaktivität – so kann etwa ein Exoskelett nur durch die Vorstellung von einer Bewegung gesteuert werden. Damit bieten BCIs gelähmten Menschen die Chance, die Kontrolle über einen Teil ihrer Bewegungsfähigkeit wiederzuerlangen.
BCIs, die Hirnaktivität von der Kopfoberfläche messen, haben den Vorteil, dass sie Patienten einen aufwendigen und risikobehafteten chirurgischen Eingriff am Gehirn ersparen. "Wir haben bereits ein nicht-invasives BCI-System entwickelt, das es Menschen mit hoher Querschnittslähmung ermöglicht, mittels willkürlicher Veränderung ihrer Hirnströme, Alltagsgegenstände zu greifen", berichtet Prof. Dr. Surjo R. Soekadar, Einstein-Professor für Klinische Neurotechnologie an der Charité, und fügt hinzu: "Trotz der beachtlichen Fortschritte ist es bislang jedoch nicht gelungen, komplexe Handbewegungen mit einem solchen nicht-invasiven System zu steuern." So lässt sich zwar die Bewegungsabsicht erkennen, aber nicht, welche Bewegung genau ausgeführt werden soll. Um dies zu erreichen, müsste die Sensitivität der Sensoren erheblich gesteigert werden.
Dieser Aufgabe haben sich nun neun Partner angenommen und das Projekt "Laserschwellen-Magnetometer für neuronale Kommunikationsschnittstellen", kurz "NeuroQ", gestartet. In dem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Vorhaben entwickeln die Projektpartner Quantensensoren, die so sensitiv sind, dass sie kleinste Magnetfelder, die durch Hirnströme entstehen, messen können. Diese Quantenmagnetometer sollen in ein BCI-System integriert werden und es damit Gelähmten ermöglichen, ein Hand-Exoskelett deutlich präziser zu steuern als es bislang der Fall ist.
Bei nicht-invasiven BCIs erfolgt die Messung der neuronalen Aktivität bislang hauptsächlich über elektrische Felder. Dabei bringt die Messung von Magnetfeldern erhebliche Vorteile mit sich: "Magnetfelder durchdringen Haut und Schädel unverzerrt und liefern damit wesentlich deutlichere Signale als elektrische Felder, da diese auf dem Weg von der Quelle zum Sensor stark abgeschwächt werden. So hat die Magneto-Enzephalographie (MEG) signifikante Vorteile gegenüber der Elektro-Enzephalographie (EEG), wird jedoch aufgrund technischer Hürden nur selten angewendet", erklärt Dr. Jan Jeske, Projektleiter von "NeuroQ" und Forscher am Fraunhofer IAF.
Die technischen Hürden von MEGs liegen an den eingesetzten Sensortechnologien: SQUID-Sensoren (Superconducting Quantum Interference Devices) sind hochpräzise, benötigen allerdings eine Tieftemperaturkühlung, was ihren Einsatz extrem teuer und aufwendig macht. Optisch gepumpte Magnetometer (OPMs) auf der Basis von Dampfzellen übertreffen sogar die Sensitivität von SQUIDs, funktionieren jedoch nur im absoluten Nullfeld – das bedeutet, dass für ihren Betrieb jedes Hintergrundmagnetfeld (inklusive Erdmagnetfeld) vollständig abgeschirmt werden muss, was ebenfalls einen enormen bautechnischen Aufwand mit sich bringt.
"Bislang sind keine Magnetometer realisiert worden, die unter Umgebungsbedingungen – also in nicht abgeschirmten Umgebungen – eine Empfindlichkeit erreichen, die für den Nachweis neuromagnetischer Felder geeignet wäre. Das Vorhaben von ›NeuroQ‹ übertrifft den Stand der Technik erheblich", fasst Prof. Dr. Jörg Wrachtrup, Leiter des 3. Physikalischen Instituts an der Universität Stuttgart, zusammen.
Das Besondere an den im Projekt "NeuroQ" zu entwickelnden Quantenmagnetometer ist ihr Ausgangsmaterial: Sie basieren auf NV-Zentren (nitrogen-vacancy center) in Diamant und verfügen damit über einzigartige Eigenschaften: Diamant-Quantenmagnetometer sind die einzigen hochsensitiven Magnetometer, die bei Raum- bzw. Körpertemperatur funktionieren. Sie messen auch in Anwesenheit eines Hintergrundmagnetfelds und können die genaue Richtung eines Magnetfeldes (d. h. alle drei Komponenten des Vektors) bestimmen. Zudem sind sie biokompatibel und können nah an die Quelle herangebracht werden, was wiederum stärkere Signale ermöglicht.
Das alles führt dazu, dass Diamant-Quantenmagnetometer perspektivisch in Kliniken, Praxen, einer Reha-Umgebung, aber auch zu Hause und im Alltag eingesetzt werden könnten, um die Lebensqualität gelähmter Menschen wesentlich zu verbessern und einen wichtigen Beitrag zu ihrer gesellschaftlichen Inklusion zu leisten.
MEDICA.de; Quelle: Fraunhofer-Institut für Angewandte Festkörperphysik IAF