Exoskelette im Operationssaal

Exoskelette haben ihren Weg in die Arbeitswelt gefunden. Mit ihrer Fähigkeit, die Nutzenden zu entlasten und gleichzeitig die Beweglichkeit zu erhalten, sind sie eine willkommene Unterstützung für Arbeitnehmende in allen Branchen. Vor allem in Berufen, in denen viel gehoben werden muss, wie in der Logistik oder in der Produktion. Im medizinischen Bereich werden Exoskelette häufig in der Rehabilitation eingesetzt. Doch es gibt einen Einsatzbereich, der in Zukunft von Exoskeletten profitieren könnte: der Operationssaal.

Ottobock hat sich seit der Gründung 1919 zu einem der weltweit führenden Unternehmen in der medizintechnischen Versorgung entwickelt. Egal, ob Prothese, Orthese oder Rollstuhl, der Name Ottobock steht für innovative Produkte. Seit 2018 setzt sich das Unternehmen mit seinen Erfahrungen aus der Medizintechnik auch für gesündere Arbeitsplätze ein. Durch den Zusammenschluss mit dem kalifornischen Start-up SUITX im Jahr 2021 treibt der Hersteller die Entwicklung von Exoskeletten weiter voran. Der Vizepräsident von SUITX by Ottobock in Europa, David Duwe, erklärte uns, wie die Produkte des Unternehmens die Arbeit von Chirurginnen und Chirurgen auf vielfältige Weise unterstützen können.

Das Hauptaugenmerk liegt nach wie vor auf Branchen wie der Automobilindustrie, der Luft- und Raumfahrt und der Logistik. SUITX by Ottobock hat jedoch erkannt, dass ihr Exoskelett-Modell IX Shoulder Air nicht nur für schwere Hebearbeiten geeignet ist, sondern auch für präzise und feinfühlige Aufgaben wie medizinische Eingriffe. Durch die Nähe zur Universitätsklinik Göttingen kamen gelegentlich Medizinerinnen und Mediziner auf Ottobock zu und baten darum, das Exoskelett für ihre Arbeit zu testen. Obwohl die Aufgaben einer Person, die in der Logistik arbeitet und die einer medizinischen Fachkraft aus der Chirurgie auf den ersten Blick nicht viel gemeinsam zu haben scheinen, gelten die Vorteile des IX Shoulder Air für beide. Ohne weitere Anpassungen.

Das IX Shoulder Air wird am Oberarm befestigt und trägt das Gewicht der Arme, während es gleichzeitig die Beweglichkeit gewährleistet. Das Ausmaß der Unterstützung durch das System ist auf die individuellen Bedürfnisse einstellbar. Duwe vergleicht den Effekt mit dem Gleiten an der Wasseroberfläche beim Schwimmen, da das IX Shoulder Air die Gelenkkompressionskräfte auf bis zu 50 Prozent reduzieren kann. Das ist nicht nur bei schweren Hebearbeiten nützlich, sondern auch beim längeren Verharren in einer bestimmten Position. Da medizinische Eingriffe mehrere Stunden dauern können, kann es zu Versteifungen oder Rückenschmerzen kommen. Eine von Forschenden der Universität von Texas durchgeführte Studie kam zu dem Ergebnis, dass 68 Prozent der teilnehmenden Chirurgen unter generellen Schmerzen nach Operationen litten.

Da Deutschland, wie viele andere Länder auch, mit einem Fachkräftemangel in der Medizin konfrontiert ist, bieten Exoskelette Chirurginnen und Chirurgen im zunehmenden Alter die Möglichkeit, ihre Arbeit trotz altersbedingter Einschränkungen fortzusetzen. Davon profitieren wiederum auch jüngere Fachkräfte, die von den Erfahrungen ihrer Koleginnen und Kollegen lernen können. Das führt zu weniger Fehlern. "Wenn ich extrem gut ausgebildete Leute dazu bringen kann, zu sagen, dass sie schmerzfrei sind und möglicherweise noch ein Jahr länger bestimmte Operationen durchführen können, dann ist das ein großer Hebel", schließt Duwe.

Stichwort Fachkräftemangel – gerade im Bereich der Pflege könnten Exoskelette für große Entlastung sorgen. Und eigentlich würde ein Einsatz auf der Hand liegen, schließlich kommen gerade in diesem Beruf die Vorteile der "Wearables" zum Tragen. So können die Hilfsmittel nicht nur das Pflegepersonal beim Heben oder Umsetzen von Patientinnen und Patienten unterstützen, die robotischen Muskeln sorgen auch dafür, dass das Personal weniger schnell ermüdet. Wieso Exoskelette aber gerade dort noch nicht flächendeckend eingesetzt werden, darüber spricht Carolin Mühe Business Development Managerin bei der Firma Help Tech im REHACARE-Interview "Schluss mit Rückenschmerzen – dank Exoskelett".

Ein Teilbereich der Medizin, in dem die Vorteile von Exoskeletten dagegen schon seit längerem genutzt werden, ist die Rehabilitation. Die Möglichkeit, die Unterstützung durch das System individuell zu steuern, und eine Vielzahl unterschiedlicher Exoskelett-Modelle helfen den Patientinnen und Patienten, alltägliche Herausforderungen zu meistern. Um die Technologie der Exoskelette weiter voranzutreiben, zeigen Veranstaltungen wie der Cybathlon, bei dem Teilnehmende mit Behinderungen an verschiedenen Wettbewerben teilnehmen, immer neue Möglichkeiten auf. Eine weitere jährliche Veranstaltung ist der Welttag des Exoskeletts am 2. Mai, der vom Project MARCH, einem gemeinnützigen Studententeam der TU Delft, ins Leben gerufen wurde. "Wir versuchen, Unternehmen aus der ganzen Welt einzubeziehen, um Veranstaltungen zu organisieren und das Bewusstsein für die Exoskelett-Technologie zu schärfen", sagt Charlotte Bourdon, Koordinatorin für Öffentlichkeitsarbeit.

Mit den soeben aufgeführten Vorteilen und selbst durchgeführten sowie unabhängigen Forschungen könnten Exoskelette einen großen Einfluss auf die Arbeit von Chirurginnen und Chirurgen haben. Ähnlich wie sie den heutigen Einsatz in der Rehabilitation geprägt haben oder in der Industrie erfolgreich zum Einsatz kommen. Aber die Frage der Investition und einer möglichen breiten Einführung bleibt. Auch wenn dieses Thema im Moment noch nicht in aller Munde ist, könnte es in naher Zukunft zu einem werden.