Eine neue Generation dieser Schnittstellen mit hochauflösenden Sensoren und einem besonders effektiven Stimulationsverfahren soll das ändern – unterstützt vom Europäischen Forschungsrat (ERC) in den kommenden fünf Jahren mit rund zwei Millionen Euro.
Gehirn-Computer-Schnittstellen, im Englischen Brain-Computer Interfaces (BCIs) genannt, nutzen die Tatsache, dass das Gehirn elektrische Felder erzeugt. Diese Felder lassen sich auf der Kopfhaut messen. Anschließend übersetzen BCIs die Hirnaktivität in Steuersignale externer Geräte wie Prothesen, Roboter oder Exoskelette. Menschen mit schweren Lähmungen kann dies Bewegungen oder Kommunikation ermöglichen. Sogenannte bidirektionale BCIs erlauben es darüber hinaus, Hirnaktivität gezielt elektrisch anzuregen, beispielsweise um ein Tastempfinden beim Steuern einer Prothese zu simulieren. Von medizinischem Nutzen sind BCI-Systeme unter anderem im Bereich der neurologischen Rehabilitation, beispielsweise wenn es darum geht, die Kommunikations- oder die Bewegungsfähigkeit schwerstgelähmter Menschen wiederherzustellen.
Menschen mit neurologischen und psychiatrischen Erkrankungen zu neuer Lebensqualität zu verhelfen, ist Prof. Soekadar ein Anliegen. Seit fünf Jahren leitet er den Forschungsbereich Translation und Neurotechnologie sowie die Arbeitsgruppe Klinische Neurotechnologie an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Campus Charité Mitte. Die therapeutischen Potenziale von BCI-Systemen hat er bereits frühzeitig erkannt. Jenseits des Wiederherstellens sensomotorischer Funktionen sollen sie nun auch in der Behandlung psychiatrischer Erkrankungen zum Einsatz kommen. Mit der aktuellen Förderung durch den Europäischen Forschungsrat will der Berliner Neurowissenschaftler nun entscheidende Hürden auf dem Weg zu einer sicheren und effektiven bidirektionalen Gehirn-Computer-Schnittstelle nehmen.
Die wohl größte unter ihnen ist der menschliche Schädel selbst. Wird die Hirnaktivität von außerhalb der Knochendecke gemessen, beispielsweise mittels Elektroenzephalographie (EEG), ist die Genauigkeit der BCI bislang begrenzt. Die Implantation von Elektroden oder Sensoren in den Schädel dagegen ist aufwendig und birgt zahlreiche Risiken. Das Team um Prof. Soekadar ist auf der Suche nach Alternativen und erprobt derzeit den Einsatz von ultragenauen Sensoren, sogenannten Quantensensoren, die Hirnaktivität mit einer wesentlich höheren Genauigkeit an der Kopfoberfläche messen können als EEG oder andere nichtinvasive Methoden. Mit Unterstützung der Einstein Stiftung Berlin und in Zusammenarbeit mit der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) sowie der Technischen Universität Berlin (TU Berlin) ist bereits ein Prototyp eines solchen Quanten-BCIs entstanden. Grundlage der Hightech-Sensoren sind gasförmige Atome, die als Magnetfeldsonden fungieren und die auf die elektrischen Hirnsignale reagieren. Man nennt sie optisch gepumpte Magnetometer (OPM).
Trotz rasanter Fortschritte im Bereich der Neurotechnologie existiert aktuell noch kein bidirektionales BCI auf der Basis nichtinvasiver, also nicht operativ eingreifender, Methoden. Grund dafür ist einerseits die notwendige Empfindlichkeit der Sensoren und andererseits die Stärke der Stimulation, die erforderlich ist, um das Gehirn durch den Schädelknochen hindurch anzuregen. Dabei auftretende Störsignale lassen eine zuverlässige Messung und Interpretation von Hirnsignalen noch nicht zu. "Genau dieses Problem wollen wir lösen“, erklärt Prof. Soekadar. "Wir haben vor, an der Charité die weltweit erste bidirektionale Gehirn-Computer-Schnittstelle auf der Basis von Quantensensoren und Temporaler Interferenz-Magnetstimulation, kurz TIMS, einer besonders effektiven Form der Neurostimulation, zu entwickeln. Unser Ziel ist dabei, das System insbesondere auch für die Behandlung psychiatrischer Erkrankungen, beispielsweise Depressionen, zugänglich zu machen.“
Das neue Hirnstimulationsverfahren TIMS soll hierbei eine Schlüsselrolle spielen. Es basiert auf sich überlagernden, gegenseitig verstärkenden oder abschwächenden Magnetfeldern. Dieses Prinzip haben die Forschenden um Prof. Soekadar im Rahmen eines vorangegangenen ERC Starting Grants etabliert und einen solchen Prototyp mithilfe des SPARK-BIH Innovationsprogramms gebaut. Im nun bevorstehenden ERC-Consolidator-Projekt BNCI2 soll dieser Prototyp erweitert und schließlich mit dem Quanten-BCI kombiniert werden. "Die Möglichkeiten, die sich durch diese Kombination für Wissenschaft und Klinik ergeben, sind sehr weitreichend“, davon ist Prof. Soekadar überzeugt. So soll es möglich werden, in Abhängigkeit bestimmter Hirnzustände die Aktivität auch tiefer Areale des Gehirns gezielt anzuregen.
Der Einsatz von hochauflösenden Quantensensoren soll dabei eine Messgenauigkeit erreichen, die bisher nur invasiven Verfahren vorbehalten war. "Wir hoffen mit dem System Aktivitätsmuster im Gehirn zu erkennen, die für das Auftreten bestimmter klinischer Symptome verantwortlich sind. In einem zweiten Schritt soll das Auftreten dieser Symptome über einen geschlossenen Neuromodulationskreislauf gezielt beeinflusst werden“, so der Wissenschaftler. Die Tatsache, dass es sich um ein nichtinvasives System handelt, ist eine wichtige Voraussetzung für einen breiten klinischen Einsatz, der das Leben vieler Patientinnen und Patienten nachhaltig verbessern kann. Gleichzeitig gilt es bei diesem Vorstoß in noch unbekannte Dimensionen der therapeutischen Neuromodulation, ethische Herausforderungen und Aspekte der Cybersicherheit in den Blick zu nehmen.
MEDICA.de; Quelle: Charité – Universitätsmedizin Berlin