Sie setzen bei sich in der Klinik unter anderem das Verfahren der Reinnervation ein. Was passiert dabei?
Müller: Die Ursache einer Parese ist eine gestörte Nervenfunktion, durch die nicht genug Impuls in den Muskel hereinkommt, der die Stimmlippe bewegt. Der Ansatz der Reinnervation ist der, dass man aus der Nachbarschaft des Kehlkopfes einen Nerv nutzt, der sonst andere kleine Muskeln im Hals versorgt und dessen Verlust verschmerzbar ist. Diesen verlagern wir zum Kehlkopf, sodass der Nerv mehr Stimulation in die Muskulatur hineinbringt. So erhalten die geschrumpften Muskelfasern wieder mehr Volumen und Anspannung. Damit bewegt sich die Stimmlippe zwar nicht, hat aber die nötige Spannung, um – ähnlich wie bei einem Saiteninstrument – bei der Stimmbildung eine gute und klare Schwingung der Gegenseite zu unterstützen.
Daneben gibt es das komplexere Verfahren der selektiven Reinnervation. Hier verlagert man verschiedene Nerven neu zum Kehlkopf, die die Stimmlippen atemsynchron öffnen und bei Stimmbildung wieder schließen. So wird zumindest teilweise eine Wiederherstellung der normalen Beweglichkeit des Kehlkopfes bewirkt. Diese Operationen sind allerdings sehr komplex, dauern sechs bis acht Stunden, sind Patienten mit Begleiterkrankungen kaum zumutbar und werden bislang nur in wenigen Zentren auf der Welt bei der beidseitigen Lähmung eingesetzt, nicht bei der einseitigen.
Sie beteiligen sich weiterhin an Studien zur Erprobung eines Kehlkopfschrittmachers bei beidseitiger Parese. Wie kann man sich dieses Gerät vorstellen?
Müller: Der Ansatz ist ähnlich wie bei einem Herzschrittmacher: Durch einen elektrischen Impuls sollen die Stimmlippen geöffnet und so die Atmung verbessert werden. Dazu muss man sich vorstellen, dass bei der beidseitigen Parese beschädigte Nerven zwar meistens wieder zusammenwachsen, sie aber ihre Funktion nicht mehr erfüllen, weil die richtige Verbindung zum Zielmuskel gestört bleibt. Das Gehirn steuert zwar das Öffnen und Schließen des Kehlkopfs, aber die Bewegung der Muskeln ist nicht mehr koordiniert. Da aber letztlich noch eine Nerv-Muskel-Verbindung besteht, ist der Ansatz des Kehlkopfschrittmachers, den Zielmuskel direkt hinter der Schädigungsstelle des Nervs zu stimulieren. So kommt es zur Öffnung der Stimmlippen.
Die Idee zum Kehlkopfschrittmacher gibt es schon seit Ende der 1970er-Jahre. Wir haben gemeinsam mit der österreichischen Firma Med-El Elektromedizinische Geräte GmbH das Konzept weiterentwickelt, um über Nervenstimulation selektiv den Zielmuskel zu erreichen. In einer ersten Studie zwischen 2012 und 2014 haben wir den Kehlkopfschrittmacher an sieben Patientinnen und Patienten in Gera, Würzburg und Innsbruck erfolgreich testen können. Nach einigen Weiterentwicklungen starten jetzt im Frühjahr in Zentren in Deutschland und Österreich weitere Studien. Darin wollen wir zeigen, dass die Stimulation die Öffnung der Stimmlippen verbessern und die Beschwerden der Betroffenen vermindern oder sogar beheben kann. Das Moderne an der in Studien zu erprobenden Technik ist, dass wir den Kehlkopf nicht offen operieren müssen, sondern die Elektroden minimal-invasiv direkt in den Zielmuskel einbringen können. So können Folgeschäden am Kehlkopf vermieden werden.
Welche Patientinnen und Patienten kommen für diese Behandlung in Frage?
Müller: Diese identifizieren wir in einer Voruntersuchung. Wir können feststellen, ob bei der Patientin oder dem Patienten eine ausreichende Nerv-Muskel-Verbindung vorhanden ist, die auf einen elektrischen Impuls reagiert und die Stimmlippen öffnet.
Wie sieht der Zeitplan für diese Studien aus?
Müller: Diese Studien werden etwa ein bis zwei Jahre dauern und dann ausgewertet werden. Je nach Ergebnis wird die Zulassung für den Schrittmacher als Medizinprodukt angestrebt, sowohl in Europa als auch weltweit. Er soll dann eine neue Therapieoption für beidseitige Stimmlippenlähmung darstellen.