Gamification: Schritt für Schritt zurück in den Wettkampf

Eine schnelle Rehabilitation nach Verletzung oder Operation ist vor allem für Profisportler essenziell. Denn sie sind von ihrer körperlichen Fitness beruflich abhängig. Kehren sie zu früh in den Wettkampfsport zurück, kann das schwerwiegende gesundheitliche Folgen haben. Um den optimalen Return-to-Play-Zeitpunkt zu finden, sollen nun gängige Testverfahren mit Virtual Reality verknüpft werden.

Im Interview mit MEDICA.de berichten Dr. Markus Wenning und Jonas Weber von einem gemeinsamen Projekt der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg und der Firma EXXETA. Sie erklären, welche Nachteile der klassische RTP-Prozess hat und wie dieser durch VR verbessert werden kann.

Wie sieht der Return-to-Play-Prozess herkömmlicherweise aus?

Markus Wenning: Der Return-to-Play-Prozess ist üblicherweise an eine Testbatterie gekoppelt. Die Rehabilitation und anschließende Freigabe für bestimmte Trainingsinhalte erfolgen dabei schrittweise. Abhängig von den Testergebnissen dürfen die Sportler dann in der Reha fortschreiten. Nach einer Operation ist der erste Schritt das Wiedererlangen des normalen Gangbildes. Dann kommen der Einstieg ins Lauftraining sowie ein Lauftest. Wenn der erfolgreich absolviert wurde, erfolgen der Einstieg ins Sprung-ABC, dann die Sprungtests und so weiter. Im Idealfall ist es also eine systematisch aufgebaute Testbatterie, die unter anderem Kraftmessungen, Lauf- und Sprungtestungen beinhaltet. Anhand derer wird der Rehafortschritt dokumentiert und geplant, sodass abschließend die Wettkampffreigabe erfolgen kann. Im Leistungs- und Profisport werden die Tests in einem Bewegungslabor mit biomechanischer Analyse und nach Möglichkeit auch mit Kraftmessplatten absolviert. 

Sie haben diese Tests nun mit Virtual Reality gekoppelt. Inwiefern kann der RTP-Prozess dadurch unterstützt oder verbessert werden?

Wenning: Der Nachteil der klassischen Tests ist, dass sie alle für einen Profisportler vorhersehbar sind. Die Sportler wissen genau, was sie wann tun müssen. Sie können ihre Aktionen planen, weil sie die Umgebung kennen, in der sie getestet werden. Was diese Tests schlecht abbilden können, ist das, was später auf dem Feld passiert. Sobald die Sportler aus dem Labor rausgehen und Mit- beziehungsweise Gegenspieler oder ein Spielgerät dazukommen, können sie ihre Bewegungen nicht mehr planen. Das sind plötzlich komplexere Situationen, die Reaktivbewegungen erfordern und so in der aktuellen Testbatterie nicht ausreichend abgebildet werden.

Jonas Weber: Unsere Idee war deshalb, diesen vorgegebenen Ablauf zu ändern, indem wir durch Virtuelle Realität unvorhersehbare Spielsituationen oder Problemstellungen in diese Testungen reinbringen, sodass der Sportler nicht schon vorher weiß, wo er hinlaufen und wie er reagieren muss. Im ersten Schritt haben wir das Vicon System – ein optisches Trackingsystem, das Mediziner für diese Testung im Labor verwenden – an die VR angeschlossen. So können wir den kompletten Körper und alle Daten in der VR sehen, was so mit gängiger Consumer Hardware nicht möglich ist. Hier sieht man normalerweise nur die Controller und den Kopf. Das verstärkt die Immersion – also das Eintauchen in die virtuelle Umgebung – natürlich enorm. Darauf basierend haben wir die ersten Testläufe gefahren und evaluiert, was passiert, wenn zum Beispiel auf einmal Hindernisse auftauchen.

Welche Erfahrungen konnten Sie da bisher sammeln?

Wenning: Von den Testusern wird insbesondere der Gaming-Charakter wahrgenommen. Das bisherige Feedback war, dass das Bewegen in der VR-Welt Spaß macht, Motivation bringt und interessant ist. Das spielt für uns eine Rolle, auch wenn der faktische Nutzen im wissenschaftlichen Kontext natürlich im Vordergrund stehen wird. Die VR bringt aber auch eine gewisse Unsicherheit in die Bewegung. Für unsere Zwecke könnte das von Vorteil sein, weil wir glauben, dass durch diese Unsicherheit bestimmte Bewegungsmuster auftauchen, die einem Profisportler in geplanten stabilen Umgebungen sonst sicher nicht unterlaufen. Dadurch lassen sich möglicherweise pathologische Bewegungsmuster – also Bewegungen, die mit einem erhöhten Verletzungsrisiko assoziiert sind – demaskieren.

Welche Nachteile gibt es? Kann zum Beispiel die Motion Sickness die Ergebnisse beeinflussen?

Weber: Natürlich spielt Motion Sickness eine Rolle, durch das Full Body Tracking aber auf jeden Fall weniger. Viel Motion Sickness wird dadurch verursacht, dass ich mich in der VR vorwärtsbewege, in der Realität aber auf meinem Stuhl sitze und mich nicht bewege. Wenn ich jetzt aber mit dem ganzen Körper in der VR-Welt bin, mich in einem kompletten Raum bewegen kann und der virtuelle Platz genauso groß ist wie der reale, dann ist die Motion Sickness um einiges reduziert. Eine mögliche Problemstellung ist die Latenzzeit von Geräten. Die Sportler machen sehr schnelle Bewegungen, auf die die Technik eventuell verzögert reagiert. Auch für die Hardware könnten diese schnellen Bewegungen ein Problem sein. Eine VR-Brille ist relativ sperrig und muss eventuell angepasst werden, damit sie nicht gleich beim ersten Sprung vom Kopf fällt.

Auf welchem Stand ist das Projekt gerade?

Wenning: Das Setup funktioniert, aber wir möchten wissenschaftlich überprüfen, wie viel Mehrwert wir durch die VR-Testung erzielen. Dafür vergleichen wir die Ergebnisse der herkömmlichen Testbatterie mit denen aus den VR-Tests. Wir möchten herausfinden, was genau sich durch die Bewegungen in der VR verändert.

EXXETA entwickelt verschiedene sportartspezifische Szenarien, die in die VR implementiert werden. Für die Rehabilitation absolvieren alle die gleiche Testbatterie in Realität und in VR. Vor Rückkehr in den Wettkampf oder ins Teamtraining kommt noch eine sportartspezifische Testung mit VR hinzu, die reaktive, komplexe Szenarien beinhaltet. Dabei kann langfristig aus der Testbatterie mehr werden als nur ein rein wissenschaftliches Instrument. Wir möchten etwas entwickeln, das zugleich Spaß macht und einen medizinischen Mehrwert bietet. Unser nächstes Ziel ist es, die VR-Testungen regulär als Labor an der Uniklinik zu etablieren. Um das finanzieren zu können, stellen wir gerade einen Forschungsantrag beim Bundesinstitut für Sportwissenschaften.