Ein Wearable für die selbstständige Gangtherapie – auch zu Hause
Das Start-Up CERITER hat ein Wearable entwickelt, das den Gang von Patienten und Patientinnen in Echtzeit analysiert und ihnen sofort mit Audiosignalen bei jedem Schritt signalisiert, ob sie richtig auftreten. Über eine Plattform stellt das Unternehmen die Ergebnisse der Ganganalyse und aktive Unterstützung bei der Therapie übersichtlich zur Verfügung.
Ganganalysen sind wichtig, um genau zu sehen, was beim Gehen wirklich passiert. Sie sind die Basis der Gangtherapie und finden bisher vor allem stationär und unter Aufsicht einer Therapeutin oder eines Therapeuten statt. Bei diesen medizinischen Indikationen werden Ganganalysen und Gangtherapien häufig eingesetzt:
nach Verletzungen oder Operationen,
bei neurologischen Erkrankungen wie Schlaganfall, Multiple Sklerose und Parkinson,
bei körperlichen Behinderungen zur Anpassung von Prothesen,
bei Gesundheitsproblemen im Alter.
Jede Gangtherapie braucht zuvor eine Ganganalyse
Ein kurzer Einblick in aktuelle stationäre Technologien
Bei allen Indikationen ist ein Punkt besonders wichtig: Dass die Therapie durch gezieltes Training regelmäßig und vor allem richtig stattfindet. Hierbei gibt es eine große Hürde: die fehlenden Fachkräfte in Kliniken und Rehabilitationszentren und den dadurch bedingten Zeitmangel für einzelne Patientinnen und Patienten. Eine Lösung für diese Probleme können Wearables sein, die es möglich machen, dass die Therapierenden die Therapie zwar persönlich begleiten und optimieren, die Patienten und Patientinnen aber auch selbständig Übungen machen können – sowohl stationär als auch in ihrem Zuhause, ohne dass die Fachkräfte danebenstehen müssen.
Wir zeigen, wie das Wearable des belgischen-niederländischen Unternehmens CERITER genau das ermöglicht:
Hören, wie sich gutes Gehen anfühlt
Vom Sensor zum Sender zum Smartphone zum Sound
Das Wearable von CERITER mit der Plattform Stride One ist seit zwei Jahren auf dem Markt. Das Prinzip ist einfach: durch eine dünne und flexible Einlegesohle im Schuh werden über Sensoren Daten in einem Clip am Schuh gesammelt und dann via Bluetooth an ein Smartphone geschickt. Die Daten werden dann über das hinterlegte Portal an den Physiotherapeuten oder die Therapeutin gesendet.
Das Besondere an dem System
Die in Echtzeit übertragenen Daten können Audiosignale auslösen, die dem Anwendenden bestätigen, dass die Bewegung richtig ausgeführt wird. So wird direkt deutlich, ob jemand nicht fest oder sanft genug auftritt, oder den Fuß falsch belastet. Für Patienten oder Patientinnen ist das Audiosignal also ein einfaches Hilfsmittel zur unmittelbaren Verbesserung des Ganges. Und das wiederum erhöht ihre Motivation für das weitere Training.
Das folgende Video zeigt den Ablauf des ersten Trainings und die Anwendung des Audiosignals beim Gehen. (Das Videoenthält keinen gesprochenen Text.)
Wie finden die Anwendenden das Trainingssystem? Piet Stevens, Gründer Ceriter:
Was war die größte Herausforderung bei der Entwicklung des Gerätes?
Beispiel: Eine Patientin trainiert den Abstoßdruck ihres linken Fußes
Gangtherapie nach einer Knie-OP mit Knieendoprothese
Vorher: Das linke Bild (blau hinterlegt) zeigt unter anderem den Push-Off-Wert des linken Fußes vor dem Training. Das ist der Wert des Drucks beim Abstoßen vom Boden (blauer Balken). Die Grafik zeigt, dass der Druck auf dem linken großen Zeh und dem Mittelfuß nur bei 8 Prozent der Schritte stark genug ist.
Nachher: Die Werte des rechten Bildes (grau hinterlegt) zeigen die Werte nach dem ersten Training mit Audiosignalen. Nun zeigt der Push-Off-Wert, dass die Patientin den Druck von nur 8 Prozent auf 75 Prozent erhöht hat.
(Tipp: Regler nach rechts und links schieben, um die Veränderung im Dashboard zu sehen.)
Dashboard mit Details
Die obere Grafik lässt sich bei Bedarf erweitern, um noch genauere Daten der Belastung beim Training auch im zeitlichen Verlauf zu sehen. Dadurch, dass die Werte immer für beide Füße angezeigt werden, können Asymmetrien deutlich werden: Welcher Fuß wird mehr oder weniger belastet? Die „Stance ratio“ zeigt das Standverhältnis pro Schritt. Trainiert die Patientin richtig, oder vernachlässigt sie vielleicht eine Seite? Wie lang ist die Schwungphase und findet der Ablauf richtig statt?
Die Therapierenden können so direkt und auch remote über einen längeren Zeitraum alle Entwicklungen sehen und entsprechend passende Anweisungen für das weitere Training geben.
Medizinische Wearables und ihre Möglichkeiten
Echtzeitüberwachung
Wearables können Echtzeitdaten über den Gangstil und die Bewegungsmuster sammeln, was Therapierenden eine kontinuierliche Überwachung und Anpassung der Therapie ermöglicht.
Personalisierte Therapiepläne
Die gesammelten Daten ermöglichen eine personalisierte Therapie, indem sie individuelle Muster und Bedürfnisse aufzeigen. Therapierende können den Fortschritt verfolgen und die Übungen entsprechend anpassen.
Biofeedback
Wearables können visuelle oder auditive Signale senden, um Patienten und Patientinnen in Echtzeit zu korrigieren. Dies verbessert die Selbsterkennung von Fehlhaltungen und unterstützt einen korrekten Gang.
Ferntherapie
Wearables können auch außerhalb der Klinik genutzt werden, wodurch Ferntherapie und Telemedizin ermöglicht werden. Therapierende können aus der Ferne Fortschritte überwachen und Feedback geben.
Verbesserte Zusammenarbeit
Wearables ermöglichen eine bessere Kommunikation und Zusammenarbeit zwischen allen Beteiligten, was zu einer ganzheitlicheren Behandlung führt.
Piet Stevens unterstreicht das Potenzial der tragbaren Messgeräte.
Vorteile aus wirtschaftlicher Sicht
Die Einführung neuer Technologien kann die therapeutische Effektivität verbessern. Außerdem bietet sie wirtschaftliche Vorteile. Schnellere Genesungszeiten senken die Gesamtkosten für die Behandlung und kürzere Rehabilitationszeiten bedeuten sowohl weniger Ressourcenverbrauch als auch geringere Personalkosten. Die präzisen Messdaten helfen dabei, Therapien zu optimieren und nachweisbare Ergebnisse zu erzielen, was wiederum die Qualitätssicherung und Berichterstattung beispielsweise gegenüber Versicherungen verbessert.
Erfolgsrezept menschliche Erfahrung und moderne Technologie
Wearables können als wertvolle Werkzeuge in der Rehabilitation angesehen werden. Dennoch wird die menschliche Komponente und Erfahrung der Therapierenden unerlässlich bleiben. Denn sie können Therapiepläne anpassen, basierend auf ihren persönlichen Beobachtungen und Interaktionen, die über das hinausgehen, was Wearables erfassen können. Sie motivieren, leiten an und unterstützen ihre Patienten auf eine Weise, die Geräte nicht ersetzen können. Denn sie sind geschult, Veränderungen im Zustand der Patienten und Patientinnen zu erkennen, die möglicherweise nicht vollständig durch Sensoren erfasst werden. Sie können entsprechend reagieren und den Therapieplan sofort anpassen. Und natürlich spielt die menschliche Interaktion eine entscheidende Rolle dabei, zu motivieren und emotional zu unterstützen.
Optimalerweise führt die Kombination aus Technologie und menschlicher Erfahrung zum bestmöglichen Therapieerfolg.
Multimediale Redaktion und Umsetzung: Natascha Mörs MEDICA.de