Wo genau sehen Sie den Schnittpunkt zur Sportmedizin?
Ritzmann: Sportlerinnen und Sportler haben häufig Verletzungen oder Operationen an Gelenken. Diese werden in der Folge in ihrer Bewegungsamplitude eingeschränkt und dürfen nicht oder nur partiell belastet werden. Und das sind genau solche Bedingungen, die zur Degeneration führen. Gerade im Spitzensport ist der Abbau von Muskulatur etwas sehr Einschneidendes, denn die Muskulatur musste über Jahre hinweg aufgebaut und ihre kontraktile Zusammensetzung optimiert werden.
Aber auch im Breitensport und für die Bevölkerung ist das Thema relevant. Wenn Menschen stürzen und sich verletzen, gerade Ältere, und längere Zeit nicht so mobil sind oder wenn sie, wie in der Corona-Pandemie, wegen einer Infektion länger im Bett liegen, erfahren sie das gleiche. Das Nicht-Benutzen des Körpers hat einen riesigen Effekt auf Muskulatur und zentrales Nervensystem, den wir nicht so einfach beiseiteschieben können.
Haben Sie aus Ihrer Forschung schon konkrete Ergebnisse ableiten können, die für die Sportmedizin nutzbar sind?
Ritzmann: Wir haben dank unserer Studien und der Modellierung der Degeneration verstanden, wie schnell Muskulatur abbaut, wann dieser Abbauprozess am schnellsten stattfindet und auch, dass er nach einer Zeit nicht mehr fortschreitet. Das ist etwa nach einem Jahr der Fall, wenn er eine Sättigung erfährt. Wir haben auch verstanden, wie der Abbau im zentralen Nervensystem stattfindet und auf welchen Ebenen des Gehirns und des Rückenmarks er sich äußert.
Der wichtigste Teil ist allerdings, wie man dem entgegenwirken kann. Also: Was sind Gegenmaßnahmen, um in Situationen, in denen man den Körper weniger bewegen kann, trotzdem möglichst systemerhaltend zu arbeiten? Was sind Tools, die man in Sportmedizin, Sportwissenschaft und Spitzensport nutzen kann, um all diesen degenerativen Effekten entgegenzuwirken? Damit beschäftigt sich die Weltraumwissenschaft natürlich explizit.
Wie bewerten Sie im Rückblick Ihre Teilnahme an der MEDICA MEDICINE + SPORTS CONFERENCE?
Ritzmann: Ich denke, es war wichtig, das Thema dort anzusprechen und transdisziplinär zu beleuchten. In Sportmedizin und Sportwissenschaft wird viel über Training nachgedacht, aber weniger über Degeneration, obwohl sich natürlich die meisten Menschen irgendwann in ihrem Leben verletzen oder operiert werden und dann solche Phasen durchmachen. Bei der Arbeit mit Athletinnen und Athleten im Spitzensport berichten sie, dass das häufig die schwierigsten Phasen der Karriere sind. Und wenn sie die gut überstehen, können sie da gestärkt rausgehen. Das ist für mich eine wichtige Botschaft, die ich hoffentlich dort platzieren konnte.