Intro: Was wäre, wenn wir Stürze beim Sport, im Job oder im Alltag vorhersehen und so Verletzungen vermeiden könnten? Um das zu erreichen, stolpern hier Probandinnen und Probanden, was das Zeug hält. Mithilfe zahlreicher Messsysteme und künstlicher Intelligenz sollen früher Anzeichen von Stürzen erkannt werden. Der neue Ansatz dieses Projektes ist, Ganganalyse als Präventionsmaßnahme einzusetzen. Im neuen Labor für KI-basierte Ganganalyse, dem SmartGAITLab der Hochschule Koblenz, treffen wir Forschende, die aus unterschiedlichen Blickwinkeln den Eigenschaften des menschlichen Gangs auf den Grund gehen.
Prof. Lukas Scheef: Sie müssen sehen, dass allgemein die Medizin sich immer mehr in Richtung Prävention hin entwickelt. Und Laufen, Gehen oder alle Bewegungen sind recht komplexe Vorgänge im Körper. Und kleinste Änderungen, die weisen häufig schon auf Erkrankungen hin. Ja schauen wir uns das Laufen an. Und einige Läufer laufen nicht optimal. Sie haben falsche Bewegungsabläufe. Das führt dann relativ schnell zu Überbelastung der Gelenke, der Bänder, der Muskulatur. Es wäre da viel viel besser, wenn man frühzeitig diese falsche Bewegung erkennen würde und dann einfach den Laufstil ändert. Schauen wir uns das Feld Geriatrie an. Wir wissen, ältere Menschen werden immer wackeliger im Lauf mit der Zeit. Und zu behandeln, bevor der Patient hingefallen ist. Das heißt, wir schauen uns an, wie stark ist diese Gangunsicherheit ausgeprägt? Kommt das schon zu Beinahestürzen? Man kann auch schauen, wo passiert das denn?
Offtext: Das Team will diese Ziele mit Hilfe von künstlicher Intelligenz erreichen, die auffällige Muster aus sehr vielen Bewegungsdaten erkennen kann, teilweise sogar in Echtzeit. Im Stolperparcours und auf dem Laufband finden Tests und Trainings statt. Dr. Annika Weber hat vielleicht den größten Spaß von allen, denn sie darf wortwörtlich am laufenden Band zu sehen, wie ihre Probandinnen und Probanden die natürlich gut gesichert sind, stolpern und lernen, sich wieder zu fangen. Sie und ihr Team messen dabei viele Parameter.
Dr. Anika Weber: Mit den Kraftmessplatten können wir dann die Kräfte messen, die auf den Körper wirken und dann darauf zurückschließen, auch welche Kräfte innerhalb des Körpers fließen. In unserer Arbeitsgruppe untersuchen wir auch sehr viel, wie sich das Ganze dann auf die Muskulatur und auf die Sehnen auswirkt, gerade der unteren Extremitäten. Wir haben diesen Gangparcours selber entwickelt und da ist es so, dass wir eben Stolper-, Rutsch- und Fehltreten-Ereignisse erzeugen können. Die sind sehr unvorhersehbar für die Teilnehmer, die dann über diesen Parcours rübergehen und müssen dann ihr Gleichgewicht wiedererlangen, indem sie dann eben Abfangmechanismen anwenden.
Offtext: Ein großer Anwendungsbereich des Projektes ist der Arbeitsschutz.
Prof. Ulrich Hartmann: Wir haben im letzten Jahr eine Studie mit einem großen deutschen Paketzusteller durchgeführt. Da ging es im Bereich Arbeitsschutz um die Prävention von Stolper-, Rutsch- und Sturzunfällen. Da gibt es ein Training, das war VR-basiert. Das heißt, man hatte eine Brille auf und man ist auf dem Laufband gelaufen und plötzlich hat sich der Horizont bewegt. Und damit muss man erstmal klarkommen. Das ist sozusagen visueller Input, der überraschend ist. Und der Körper reagiert da drauf. Das andere Training ist mechanisch. Die Mitarbeitenden waren auf dem Laufband und es wurde, während sie gingen, am Bein gezupft und so wird man auch ins Stolpern gebracht. Die werden geimpft dadurch.
Offtext: Im Projekt wird daran gearbeitet, dass Gangmesssysteme auch im Alltag direkt am Menschen zur Verfügung stehen können. Ob als Wearables oder einfach über das Smartphone. Die ersten Schritte dazu sind bereits gemacht. Mit einem selbst entwickelten Algorithmus, der mit sehr wenigen Informationen auskommt.
Prof. Babette Dellen: Im Teilprojekt KI-basierte Ganganalyse benutzen wir Beschleunigungsdaten, die mit einem Smartphone aufgezeichnet worden sind. Wir benutzen die Daten, um damit ein mathematisches Modell zu erlernen für den normalen Gang einer Person. Dann legen wir Anomalien als Abweichung vom normalen Gangmuster fest. Ziel ist schon, das Verfahren in Echtzeit ablaufen zu lassen, damit wir es dann eben auf Smartphone, auf die Smartwatch bringen können. Wir denken, das ist möglich, weil unsere Methode die wir entwickelt haben, die kommt mit sehr wenigen Parametern aus.
Offtext: Schon aus wirtschaftlicher Sicht ist es wünschenswert, Stürze zu vermeiden. Kosten sparen durch Prävention statt Rehabilitation. Aber vor allem geht es darum, den Menschen besser zu unterstützen.
Prof. Lukas Scheef: Mein Traum als Mediziner und auch als sportaffiner Mensch wäre, dass wir Sensorsysteme entwickeln, um langfristig den Menschen in seiner Gänze zu erfassen, quasi diesen biologischen Aspekt des Menschen. Dass wir Laborwerte erfassen, Bewegungswerte erfassen und das quasi 24/7. Um darüber Krankheiten, Entstehung von Krankheiten besser zu verstehen und eben langfristig präventiv arbeiten zu können und auch die Therapie immer weiter zu individualisieren.